Risotto Mit Otto
10.01 Uhr. Waren die Deutschen etwa nicht nur so verrückt, zu einem privaten Abendessen auf die Minute pünktlich zu erscheinen und damit den Gastgeber in tiefste Verlegenheit zu stürzen, sondern kamen, wenn sie sich zu Besuch ankündigten, auch noch eine ganze Stunde eher als vereinbart? Wie soll man als normaler Mensch denn damit umgehen?, fragte ich mich. In Italien gilt es als äußerst unhöflich, wenn nicht gar unverschämt, auch nur eine Minute früher als eine halbe Stunde NACH der vereinbarten Zeit zu einer cena zu erscheinen, und ein italienischer Mann würde, wenn er um elf Uhr abends mit einer Frau verabredet ist, um diese Zeit vielleicht mal anfangen, sich zu rasieren. Aber auch sonst leben meine Landsleute in Sachen Verabredungen nach der Devise: Lieber zu spät als zu früh, sonst denken die anderen noch, man hätte nichts zu tun.
Was soll diese alberne übertriebene Pünktlichkeit?, fragte ich mich. Kurz überlegte ich, einfach zurück ins Bad zu gehen und die Tür erst um elf zu öffnen, und zwar auf die Minute pünktlich, als interkulturelle Erziehungsmaßnahme sozusagen, doch als ein erneutes energisches Dingdong ertönte, verwarf ich den Gedanken wieder. Das wurde mir zu laut.
Da stieß ich mir den großen Zeh an meiner Unitasche, die gleich neben der Tür lag, und verfluchte einmal mehr meine eigene Angewohnheit, die Tasche einfach fallen zu lassen, sobald ich die Wohnung betrat. Ich atmete tief ein, um den Schmerz zu betäuben, hüpfte auf einem Bein weiter, zischte »Merda!« und riss gleichzeitig die Tür auf.
Mit einem Blick erfasste ich mein Gegenüber, und meine Augen glitten langsam nach oben, von den schmalen Hüften über die breiten Schultern bis hin zu dem Ziegenbärtchen und den blauen Augen.
So schöne blaue Augen, dachte ich und starrte ihn an wie eine Erscheinung.
»Das nenne ich mal eine Begrüßung«, sagte mein Gegenüber und musterte mich spöttisch. »Scheiße hat bei meinem Anblick bisher noch niemand gerufen.«
»Äh, hallo, komm rein.« Ich grinste unbeholfen, wollte mir durch die Haare fahren und fasste in gefühlte zehn Kilo Schaum.
»Aiuto« , entfuhr es mir. Da erst wurde mir bewusst, wie ich vor ihm stand, und auf einmal verstand ich auch sein anzügliches Grinsen.
Ich zog den Bademantel enger um mich und verschränkte die Arme vor der Brust, während die Temperatur unter meinen Haarspitzen sich dem Siedepunkt näherte.
»Sonnenbrand?«, fragte er nur.
»Was?«
»Darf ich reinkommen, oder muss ich hier stehen bleiben, bis deine empfindliche Haut sich erholt hat?«
Stumm schüttelte ich den Kopf und trat zur Seite. Dann drehte ich auf dem Absatz um und rettete mich zurück ins Bad. Ich schloss die Tür mit so viel Nachdruck wie nur möglich und drehte vorsichtshalber den Schlüssel um. Zweimal.
Da stand ich nun und wagte es nicht, in den Spiegel zu spähen. Ich wollte gar nicht wissen, welchen Anblick ich diesem Typen geboten hatte. Ausgerechnet Friedrichs Bruder! Beim Gedanken an meinen unansehnlichen Mitbewohner fragte ich mich, ob die beiden tatsächlich Geschwister sein konnten, so unähnlich, wie sie sich auf den ersten und auch auf den zweiten Blick sahen. In Windeseile ging ich die Möglichkeiten durch, die ich hatte. Erstens: so lange im Bad verharren, bis die Gefahr gebannt war. Geht nicht, schmetterte ich die Idee im selben Moment ab. Andreas wollte meines Wissens drei Tage bleiben, und bis dahin würde ich verhungert sein. Garantiert. Außerdem musste ich am Nachmittag in die Uni, denn wenn ich mich in dem Seminar über die Semiotik im Deutschen wieder nicht blicken ließ, dann konnte ich mir den Schein in die Haare schmieren. Apropos Haare, ich warf nun doch einen vorsichtigen Blick in den Spiegel und schämte mich zum zweiten Mal an diesem Tag in Grund und Boden.
Zweitens: Ich hoffte, dass Andreas nicht ewig im Flur rumstehen würde, sondern es ihm irgendwann zu blöd wurde und er sich in die Küche verzog. Dann würde ich durch den Flur in mein Zimmer sprinten, mich schnell anziehen, aus dem Haus hechten und erst wiederkommen, wenn die Luft rein war. Gute Idee, nur sollte ich vorher zu Ende duschen, und zwar egal wofür sich der gar nicht mal so übel aussehende Typ, der noch immer in unserem Flur stand, am Ende entschied.
Das tat ich dann auch, und nachdem ich den Schaum ausgespült, eine Haarkur gemacht, mir die Zehennägel lackiert und meinen Körper mit der phantastisch duftenden Lotion von Chanel eingerieben hatte, war ich bereit,
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