Risotto Mit Otto
verflossen waren. Ich hatte ohne Pause mit Ben gelacht und geredet, und als er mich zum Abschied nach meiner Telefonnummer fragte, gab ich sie ihm, ohne auch nur den geringsten Gedanken daran zu verschwenden, ihm eine falsche Zahlenkombination zu nennen, wie ich es sonst gerne tat.
München, du gefällst mir, glaub ich, doch ganz gut, dachte ich beschwingt auf dem Nachhauseweg.
4.
»Praticamente perfetto«
Das Münchner Oktoberfest sollte, in mehrerlei Hinsicht, nicht ohne Folgen für mich bleiben. Zum einen hatte ich zweieinhalb Tage lang einen Kater, der sich gewaschen hatte, und war zudem derart erkältet, dass ich kein einziges Wort mehr herausbrachte und nachts stark husten musste, weshalb ich kein Auge zutun konnte. Zum anderen wartete ich seit Samstag auf eine Nachricht oder einen Anruf von Ben, weshalb ich sowieso kein Auge zutun konnte.
Am Sonntag hatte ich zwar große Lust, aber noch zu viel Stolz im Leib gehabt, um mich bei ihm zu melden. Am Montag war mein Stolz zwar schon deutlich geringer, aber Vale hatte mir per Ferncoaching strikt untersagt, den ersten Schritt zu tun. Am Dienstag wäre ich fast geplatzt, weshalb ich Beate ins Vertrauen gezogen hatte, die mir, ganz einer Meinung mit meiner besten Freundin, unter Androhung drakonischer Strafen (»Ich nehm dir dein Handy weg!«) ebenfalls jede Kontaktaufnahme untersagte. Woraufhin ich ihm am Mittwoch – für mich echt eine Leistung – doch eine SMS geschickt hatte, beratungsresistent, wie ich nun mal war.
Da saß ich nun also am Donnerstag mit roter Schniefnase, dickem Schal sowie einer Medikamentenausstattung, die jeder Apotheke den Rang abgelaufen hätte, wahlweise auf dem Bett oder dem braunen Sessel in meinem Zimmer und wartete. Die Minuten kamen mir vor wie Stunden, immer wieder starrte ich auf das Display meines Handys, das einfach nicht aufleuchten wollte. Vermutlich war es mehr als siebenundfünfzigmal, dass ich überprüfte, ob der Akku noch Saft hatte, ich das Telefon aus Versehen auf stumm geschaltet hatte, ob es überhaupt ein Netz hatte oder ob der Posteingang so voll war, dass keine neuen Nachrichten mehr eingehen konnten.
Leider zähle ich zu den wenigen Menschen auf diesem Planeten, denen es nicht auf den Magen schlägt, wenn sie Kummer haben. Vielmehr wächst dann mein Heißhunger auf Süßes und/oder Ungesundes parallel zu meiner Verzweiflung, so dass ich wahre Unmengen an Cola, Flips, Salzstangen und Schokolade vertilge. Meine Laune steigt davon in aller Regel nicht, mein Gewicht dagegen schon.
Zu allem Übel war ich am Spätvormittag nach dem Wies’n-Besuch auf dem Weg zur Toilette Friedrich begegnet, der mir prompt einen Vortrag über »maßlosen Alkoholkonsum«, wie er sich ausdrückte, und die Folgen für Körper und Seele gehalten hatte. Er hatte wie so oft seinen Milbenstaubsauger im Schlepptau, mit dem er sein Zimmer und alle Gemeinschaftsräume dreimal die Woche akribisch bis in den letzten Winkel absaugte und so klinisch rein hielt. An einer kombinierten Hausstaub-Milben-Allergie konnten wir in dieser Wohnung schon mal nicht sterben.
»Du weißt wohl nicht, was du deinem Organismus antust, wenn du dir die Lichter komplett ausschießt«, meinte er tadelnd, nachdem er mich mit meiner Schlafbrille auf der Stirn und Augenringen bis zu den Kniekehlen kopfschüttelnd gemustert hatte.
»Was?«, sagte ich, ohne stehen zu bleiben.
Ich hatte wie immer in den letzten Tagen mit gesenktem Kopf an ihm vorbeilaufen wollen, doch diesmal: keine Chance. Wir hatten seit unserem letzten Streit eine Art stummen Ignorierpakt geschlossen, der nach dem Motto funktionierte: Tust du mir nichts, tu ich dir nichts, und bisher waren wir ganz gut damit gefahren. Nun schien er aber offensichtlich gewillt, die unausgesprochene Vereinbarung zu brechen.
»Alkohol ist ein Gift, das die Zellen nachhaltig schädigt«, dozierte er, ungeachtet der Tatsache, dass meine Aufnahmefähigkeit stark begrenzt war. »Außerdem wird das zentrale Nervensystem beeinträchtigt, mal ganz abgesehen davon, dass der Magen und die Zwölffingerdarmschleimhaut zerstört werden.«
»Pfff.«
Ich ließ ihn einfach stehen und verbarrikadierte mich in der Toilette. Was glaubte der eigentlich? Dass er eine schwerkranke Alkoholikerin vor sich hatte? Und wieso vermieste er nicht den M&Ms mit seinen abstrusen Theorien den Tag?
Nachdem ich noch eine ganze Weile sinnlos auf dem stillen Örtchen herumgesessen hatte, hoffte ich, dass die Luft nun rein war, und wagte mich nach
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