Risotto Mit Otto
erwarten, das kulinarische Schwerverbrechen wie Pizza Hawaii oder, noch besser, Pizza mit Hähnchenbrust, Ananas und Currysauce für genießbar hielt? Von Salzbrezeln mit Nutella, Käsebrötchen mit Honig oder diesen ekelhaft riechenden blassen Würsten, die sie hier allerorten zum Frühstück auslutschten, ganz zu schweigen.
Im ersten Moment drohte meine südländische Impulsivität mit mir durchzugehen, und ich hätte Otto beinahe mit einer eindeutigen italienischen Geste gezeigt, was ich von ihm hielt. Doch dann machte sich die im deutschen Exil etablierte Besonnenheit bemerkbar, und ich versuchte mich in Contenance zu üben, was mir tatsächlich gelang, bis ein heftiger Niesanfall alle mühsam aufrechterhaltene Grazie zunichtemachte.
Nachdem ich annähernd eine Packung Taschentücher verbraucht hatte, war ich endlich zu einer Antwort fähig. »Die Rezepte meiner nonna werden dir nicht viel nützen«, erklärte ich dem mitleidig dreinblickenden Otto. »Meine Familie stammt aus der Emilia Romagna, der Wiege der pasta asciutta . In Bologna hat man einst die Tortellini erfunden, und die berühmte Bolognesesoße isst man bekanntlich auch mit Nudeln. Mit Reis kannst du meine Großmutter jagen.« Erst recht, wenn Himbeeren drin sind, fügte ich in Gedanken hinzu.
»Ah ja.« Offenbar hatte ich meine Antwort doch etwas temperamentvoller vorgebracht als geplant, denn er wirkte reichlich irritiert. »Ich wollte doch bloß etwas Nettes sagen«, fügte er hinzu.
Das, was deutsche Männer unter »nett« verbuchen, wenn sie jemanden trösten wollen, hat nur leider nicht das Geringste mit dem zu tun, was Italienerinnen erwarten. Wir denken da nicht ganz so immateriell. Ein Kinobesuch (mindestens), eine Essenseinladung (schon besser) oder ein Schmuckstück (im Idealfall) kommt der italienischen Vorstellung da schon näher. Im Grunde könnte man sagen: Hauptsache, der Mann gibt für die Frau Geld aus. Das scheint in Deutschland irgendwie anders zu sein …
Ehe ich mir darüber jedoch Gedanken machen konnte, fing ich wieder an zu niesen. Zwischendurch versuchte ich, Otto entschuldigend anzulächeln und ihm zu signalisieren, dass ich seine Fürsorge sehr zu schätzen wusste, doch offenbar wollte es mit der nonverbalen deutsch-italienischen Kommunikation heute nicht klappen. Jedenfalls fing er plötzlich an, in Windeseile seine Sachen zusammenzupacken und fluchtartig mein Zimmer zu verlassen, als wären die Bazillen hinter ihm her wie der Teufel hinter einer armen Seele.
»Gute Besserung«, murmelte er noch, und weg war er.
»Grazie« , sagte ich zu der Tür, hinter der er verschwunden war.
Zurück blieben meine Erkältung und ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Irgendwie waren meine Begegnungen mit deutschen Männern nicht vom Glück gesegnet. Ob’s an mir lag? Wohl kaum! Meine Eltern hatten mich nicht umsonst vom ersten Lebensjahr an nach allen Regeln der Kunst verzogen – Selbstzweifel dieser Güteklasse sind einfach nicht drin, meldete mein mit der Muttermilch aufgenommenes und von der kompletten famiglia genährtes Selbstbewusstsein Entwarnung. Lag’s an den Deutschen? Bestimmt! Das Zusammenspiel von postmodern verunsicherten deutschen Männern und untröstlichen, noch dazu todkranken italienischen Frauen war definitiv überarbeitungswürdig. Jedenfalls was meine Person betraf.
Ich brütete vor mich hin, selbst unfähig, Vale eine SMS zu schreiben, und starrte aus dem Fenster. In der Grünanlage auf der anderen Straßenseite war das Laub inzwischen bunt geworden, und die Bäume wurden allmählich kahl. Der Herbst hatte unwiderruflich Einzug gehalten, und auch wenn es tagsüber momentan noch gut zwanzig Grad warm wurde und seit bestimmt zwei Wochen ununterbrochen die Sonne schien, war es nachts bereits empfindlich kalt. Kalt und unfreundlich erschien mir auf einmal nicht nur das Wetter, sondern auch meine Umgebung. Beate hatte mich schwer getroffen, als sie vorhin einfach gegangen war, obwohl ich zugegebenermaßen patzig zu ihr gewesen war. Und über Ottos missglückten Trostspendeversuch wollte ich gar nicht erst nachdenken.
Mitten im schönsten Grübeln klopfte es, und als ich mit leiser Stimme »Herein!« rief, steckte Mike den Kopf durch den Türspalt und kam zu mir ans Bett, in der Hand den Telefonhörer.
»Für dich, Süße«, sagte er nur. »Jan ist dran.«
Madonna mia, der Superitaliener hatte mir gerade noch gefehlt. Was sollte ich ihm bloß sagen? Dass ich nicht bereit war, sein Zimmer zu räumen?
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