Risotto Mit Otto
auch nur im Traum auf die bescheuerte Idee gekommen wäre, unter all diesen Irren einen Schritt allein zu unternehmen.
Ich schaute nach rechts, von wo mir eine Horde betrunkener Landsleute entgegenkam, dann nach links, wo drei bayerische Mädels im Dirndl kichernd und gackernd Arm in Arm auf mich zuliefen. Schnell trat ich einen Schritt zur Seite, da sie mich sonst umgerannt hätten in ihrem Heiterkeitsausbruch. Nervös blickte ich auf die Uhr: drei Minuten vor zwölf. Um Punkt zwölf lief die Einlasskarte ab, und wir würden nicht mehr ins Zelt kommen. Das hatte mir Mike zumindest im Rahmen meines Bayerisch-Seminars erklärt. Wo waren Isa und Beate denn bloß?
Da trat ein schon reichlich mitgenommen aussehender blonder Jüngling in Tracht auf mich zu und lächelte mich breit an.
»Sers«, sagte er nur.
Sofort verfinsterte sich meine Miene, denn zum Obandln, wie die Kontaktaufnahme mit Einheimischen hier heißt, war ich momentan beim besten Willen nicht bereit. Außerdem hatte ich nicht verstanden, was er da sagte, und wusste daher auch nicht, was ich darauf antworten sollte. Also zupfte ich nur verlegen an dem kneifenden T-Shirt herum, und um mir meine Unsicherheit nicht anmerken zu lassen, blickte ich ihn so abweisend an, wie ich nur konnte.
»Na«, ließ er sich zu einem weiteren Gesprächsversuch hinreißen.
Die Bayern sind bekanntlich ein hartnäckiges Völkchen, das so leicht nicht aufgibt. Schön, dass ich das nun auch mal am eigenen Leib erfahren durfte.
Ich beschloss, die Ignoriertaktik anzuwenden und ihn durch Nichtbeachtung langsam – oder ehrlich gesagt lieber so schnell wie möglich – zu zermürben. Während ich über die Köpfe der Menschenmassen hinwegspähte, in der Hoffnung, Beate und Isabelle zu entdecken, schien der Unbekannte direkt vor mir parken zu wollen.
Er warf einen kritischen Blick auf mein T-Shirt und meinte dann mit Expertenmiene: »Du bist aba fei koa Urbayerin ned.«
Für einen Moment war ich sprachlos, doch dann meinte ich kurz entschlossen: »Wie kommst du darauf? Ich kann perfekt Bayerisch sprechen, wenn ich will.«
Wieder dieses Grinsen, das mir durch Mark und Bein ging. Wäre ich nicht so nervös gewesen, weil ich meinen ersten Wiesenzeltbesuch gerade den Bach hinuntergehen sah, wäre sicher alles ganz anders gelaufen. Aber egal: Es ist, wie es ist, und es kommt, wie es kommt – diese Regel gilt in Italien genauso wie in Deutschland.
»Kostprobe gefällig?«, schob ich keck hinterher.
»Soso«, meinte er spöttisch. »Do bin i aba gspannt.«
Nun musste auch ich grinsen, als ich mich auf die Zehenspitzen stellte, mich zu ihm beugte und ihm, so freundlich ich nur konnte, ins Gesicht säuselte: »Schleich di!«
Noch während er mich völlig verdutzt ansah, ertönte neben mir schallendes Gelächter, und ich fuhr herum. Otto, der den geistreichen Dialog offenbar verfolgt hatte, stand in weißem Trachtenhemd, Lederhose und Haferlschuhen vor mir und amüsierte sich prächtig auf meine Kosten.
»Gut gebrüllt, Löwe«, sagte er nur und schlug mir dabei bayerisch unsanft auf die Schulter. »Du bist vielleicht ’ne Nummer«, feixte er. »Unser Sprachtraining hat sich ja richtig gelohnt. Auf die gelungene Feuertaufe trinken wir gleich ein Bier. Komm, wir müssen uns beeilen, sonst verfällt deine Eintrittserlaubnis. Ich wollte nur nachsehen, wo ihr bleibt.« Damit zog er mich mit sich, und ich sah mich noch einmal nach dem Fremden um, der kopfschüttelnd von dannen schlich.
Auf Ottos Rettungsaktionen schien ich offenbar ein Abo zu besitzen, auch wenn ich mich beim besten Willen nicht erinnern konnte, einen entsprechenden Vertrag unterschrieben zu haben. Zeit, um darüber nachzudenken, blieb mir nicht, denn Beate und Isabelle kamen angerannt, in der Hand ein riesiges Lebkuchenherz mit der Aufschrift »Flotter Käfer«, das sie mir um den Hals hängten.
»Für deine Wies’n-Premiere«, sagten sie nur.
» Grazie .« Ich war ganz gerührt.
Eine Minute später stand ich dann zum ersten Mal in meinem Leben in einem Bierzelt auf dem Münchner Oktoberfest. Der Lärm und das Geruchspotpourri aus Bier, Hähnchen und Schweiß, die mir entgegenschlugen, betäubten meine Sinne für einen Moment. An die achttausend Menschen standen eng aneinandergepresst auf den Bänken und wiegten sich im Takt zu »Volare« von Domenico Modugno. Ich wollte meinen Augen und vor allem Ohren nicht trauen. Wir hatten gerade mal zwölf Uhr mittags, und die meisten von ihnen sahen ganz und gar nicht
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