Risotto Mit Otto
Songs aus und drehte den Lautstärkeregler ordentlich auf. Die Mädels grölten sofort mit, als die ersten Takte von »Basket Case« erklangen. Wir sprangen auf und fingen an zu tanzen und hätten darüber fast den Jahreswechsel verpasst.
»He, Leute«, rief Isabelle irgendwann. »Es ist gleich zehn vor zwölf!«
Allgemeine Hektik brach aus, eine jede wollte noch mal schnell aufs Klo, alle schnappten sich ihre Jacken und Schals, Elin holte den Korb mit den Proseccodosen vom Balkon, ich griff mir zwei leere Sektflaschen und die Raketen, Beate suchte verzweifelt nach den Riesen-Wunderkerzen, die sie extra gekauft hatte, und dann polterten wir alle gemeinsam die Treppe runter. Am Treppenabsatz im Erdgeschoss erwartete uns Frau Griesmayer, die uns neugierig beobachtete. Ich hatte ihr inzwischen die Blumen vorbeigebracht, und die Prophezeiung der M&Ms war in Erfüllung gegangen. Wir beide hatten eine Art Waffenstillstand geschlossen, und ich war nach Kräften bemüht, das Meinige zu tun, damit es dabei auch blieb.
»Na, wo soll’s denn hingehen, die Damen?«, fragte sie fast schon ausgelassen.
»Wie jedes Jahr rüber in den Brudermühlpark, zu der Stelle, von der man einen so tollen Blick auf München hat.«
»Na, dann viel Spaß!«, rief sie uns hinterher. »Und guten Rutsch.«
Ich fragte mich, ob sie ihr Piccolöchen schon intus hatte oder ob sie sich am Ende sogar vorgenommen hatte, im neuen Jahr etwas freundlicher zu ihren Mitmenschen zu sein.
»Ihnen auch alles Gute, ich hoffe, Sie haben rote Unterwäsche an. Die bringt nämlich Glück in der Liebe«, erwiderte ich und erntete prompt einen finsteren Blick. Es war also doch noch alles beim Alten.
»Unverschämtes Luder! Dir helf i«, rief sie mir nach, doch da war ich schon außer Reichweite.
Wir stapften, so schnell wir konnten, durch den Schnee in Richtung Park, überquerten ausgelassen johlend die vierspurige Ausfallstraße und erklommen den kleinen Hügel, auf dem außer uns halb Sendling unterwegs war. Oben standen schon knapp hundert Leute mit Tröten, Sektflaschen und einem Riesensortiment an Böllern und feuerten die ersten Raketen ab. Sofort legte ich einen Zahn zu, schließlich wollte ich nicht erst im neuen Jahr an dem kleinen überdachten Brunnen ankommen, und erreichte unser Ziel als Erste.
Schon kurz vor zwölf spielte mein Handy verrückt, weil eine SMS nach der anderen einging. Ich hatte die Raketen noch nicht in die Flaschen gesteckt, da fingen die Kirchenglocken an zu läuten. Ein Raunen ging durch die Menge, überall um mich herum knallte und explodierte es, und Beate fiel mir um den Hals.
»Alles, alles Gute fürs neue Jahr. Mögen all deine Wünsche in Erfüllung gehen«, brüllte sie mir ins Ohr.
»Danke, dir auch«, konnte ich gerade noch zurückbrüllen, da drückte mir ein wildfremder Typ ein Glas Sekt in die Hand und forderte mich auf, mit ihm Brüderschaft zu trinken.
Da ich nicht wusste, was er von mir wollte, hob ich mein Glas, um mit ihm anzustoßen, und ehe ich kapierte, was er vorhatte, griff er um meine Armbeuge, hakte sich bei mir ein, führte sein Glas an die Lippen, trank es in einem Zug aus und drückte mir einen Kuss auf den Mund. Oh mein Gott, dachte ich nur, will der mich heiraten? In Italien ist diese Geste nur unter Brautleuten üblich, wenn die Gäste sie lautstark auffordern, sich zu küssen. Na ja, immerhin würde ich im neuen Jahr viel Glück haben, da ich als Erstes einen Mann geküsst hatte, wie es die italienische Sitte erfordert.
Isabelle, die neben mir stand, amüsierte sich prächtig über mein dämliches Gesicht. »Jetzt schau nicht so, als hätte dich der Schlag getroffen. Das war der Tobi, ein guter Kumpel von Otto. Die feiern auch immer hier.« Dann entdeckte sie ihren Paul in der Menge und war verschwunden.
Nachdem ich auch den anderen Mädels ein buon anno gewünscht hatte, drehte ich mich um, da ich endlich meine Raketen zünden wollte. Ich blickte in ein Gesicht, das ich inzwischen nur zu gut kannte, und merkte, wie mir auf einmal ganz warm wurde, trotz der minus fünf Grad, die das Thermometer auf dem Balkon laut Elin angezeigt hatte.
» Ciao, Otto.« Ich lächelte ihn proseccotrunken an. »Ein gutes neues Jahr!«, sagte ich und nahm ihn spontan in den Arm.
»Dir auch«, murmelte er ganz dicht an meinem Ohr, und als er mich drückte, wurde mir ganz schwindelig – was natürlich auch am Alkohol liegen konnte.
»Guck mal, was ich gerade gelernt habe«, sagte ich, schnappte mir eine neue
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