Risotto Mit Otto
seine Reaktion.
Er lachte leise, bis er anfing zu husten. Nachdem er sich ausgiebig geräuspert hatte, sah er mich an, als hielte er mich für leicht minderbemittelt. »Wieso sollte ich das tun?«
»Immerhin gehört es meiner Familie« war alles, was ich vorbringen konnte.
Ich hatte ihm sagen wollen, dass es eine Unverschämtheit war, das Geld zu behalten, ohne dass ich bei ihm wohnte. Dass sich so etwas für einen italienischen Ehrenmann nicht gehörte. Dass es waschechter Betrug war, was er da tat. Doch so selbstbewusst ich im Umgang mit Gleichaltrigen war, etwa wenn Friedrich mir mal wieder das Leben schwermachte, und so groß meine Klappe manchmal sein konnte, vor allem wenn ich mich sicher fühlte, so klein mit Hut war ich jetzt. Was sollte ich tun? Ich war komplett überfordert, denn ich war noch nie in einer solchen Situation oder gar ernsthaft in Gefahr gewesen. Da meine Eltern mir zeit meines Lebens alle Schwierigkeiten vom Hals gehalten hatten, hatte ich mich bisher höchstens mit den Zwillingen, was so gut wie immer zu meinen Gunsten ausging, oder mit meinen Freunden auseinandersetzen müssen. Mich gegenüber Signor Colluti zu behaupten und mein Recht einzufordern, fiel mir in etwa so schwer, als müsste ich mich gegen eine Horde großer Jungs zur Wehr setzen, die mir auf dem Pausenhof mein Taschengeld abgeknöpft hatten. Ich saß da wie ein Schulmädchen, was dem alten Herrn ganz gewiss nicht entging, und natürlich war er gerissen genug, seinen Vorteil zu nutzen.
Ohne eine Miene zu verziehen und mit der Nonchalance eines Don Vito Corleone, sagte er nun: »Mein Kind, was glaubst du? Meine Verschwiegenheit gegenüber deinen Eltern ist nicht für umsonst zu haben.« Sein hintergründiges Lächeln ging mir durch Mark und Bein, als er ungerührt hinzufügte: »Wir wollen doch beide nicht, dass dieses aufregende Jahr in München vorschnell für dich zu Ende geht, oder?«
Mir blieb die Spucke weg. Wollte der Kerl mich etwa erpressen? Es sah ganz danach aus. »Aber … aber … das können Sie doch nicht machen. Sie müssen …«, stammelte ich.
Signor Colluti legte den Finger an die Lippen, als wollte er ein kleines, ungezogenes Kind dazu ermahnen, leise zu sein. »Na, na, na, du als junges Mädchen wirst doch wohl einem erwachsenen Mann nicht sagen wollen, was er zu tun und zu lassen hat? Ich schlage vor, du fährst jetzt zurück in deine WG, und wir lassen alles so, wie es ist. Danke für deinen Besuch, ich bringe dich dann noch zur Tür.«
Eine Viertelstunde später saß ich noch immer völlig sprach- und hilflos in der U-Bahn und war der Muttergottes und all ihren Helfershelfern zutiefst dankbar, dass mir nichts weiter passiert war. Instinktiv hatte ich sofort babbo anrufen wollen, um ihn zu Hilfe zu rufen, aber das wäre mehr als kontraproduktiv gewesen. Vale hatte leider auch keinen besseren Rat für mich als den, meinen Eltern reinen Wein einzuschenken und auf ihr Verständnis zu hoffen, doch das konnte ich unmöglich machen. Ich wollte auch nach wie vor nicht glauben, dass Colluti allen Ernstes beabsichtigte, meinen babbo zu informieren. Schließlich schoss er sich damit selbst ins Knie, denn dann musste er das Geld auf jeden Fall zurückgeben. Irgendwie wurde ich nicht schlau aus dem Ganzen, dennoch oder vielleicht gerade deswegen wollte das dumpfe Gefühl der Bedrohung einfach nicht weichen.
Kaum zu Hause angekommen, klingelte ich in der Nachbar-WG, in der Hoffnung, mit Otto über den Erpressungsversuch des fiesen Alten reden zu können, doch vergeblich. Ben rief ich gar nicht erst an, ihm konnte ich unmöglich mit meinen Kleinmädchensorgen kommen. Er war beruflich mal wieder so sehr im Stress, dass wir uns seit dem Treffen, bei dem er mir vollends den Kopf verdreht hatte, nur einmal gesehen hatten. Zwar war es wie beim letzten Mal wunderschön; Ben trug mich auf Händen, war ein toller Liebhaber und verstand es, selbst eine anspruchsvolle Italienerin nach allen Regeln der Kunst zu betören und zu verführen, doch im Alltag konnte ich nicht auf ihn zählen. Er war für die angenehmen Stunden in meinem Leben zuständig, mehr durfte und wollte ich nicht von ihm erwarten. Auch dass er noch verheiratet war, klammerte ich inzwischen einfach aus. Frei nach dem Motto »Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß« genoss ich das Zusammensein mit ihm, ohne weitere Fragen zu stellen. Das machte mich zwar nicht glücklich, jedoch auch nicht gerade unglücklich. Vor allem aber fühlte ich mich durch
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