Risotto Mit Otto
gebeutelter, zur Enthaltsamkeit verdammter Organismus meldete nicht nur Hunger, wie es mehrmals täglich der Fall war, sondern GIER. Dagegen war ich machtlos. In einem Weidenkorb türmten sich frische cornetti, die mich geradezu magisch anlockten. »Na, komm schon«, schienen sie zu flüstern, »kauf uns. Wir sind auch ganz klein und haben ganz sicher weniger als tausend Kalorien das Stück. Die baust du bei der Kälte locker wieder ab, wenn du deine Mütze absetzt, denn dann brauchst du Unmengen an Energie, um deine Körpertemperatur zu halten.«
Meine bis eben noch ach so stabilen Schutzschilde bröckelten verdächtig, und ehe ich auch nur »No!« denken konnte, lagen die krümeligen Überreste vor mir auf dem Gehsteig. Wie auf Schienen zog es mich in die Bäckerei, und nachdem ich mich vergewissert hatte, dass mich niemand sah – jedenfalls niemand außer mir selbst, und ich zählte in dem Fall nicht –, drückte ich die Ladentür auf.
Ein verführerischer Duft schlug mir entgegen, und ich hätte spontan die gesamte Auslage aufkaufen und essen können, doch da ich ohnehin ein schlechtes Gewissen hatte, blieb ich zumindest in einer Hinsicht eisern: Es gab einen cornetto, mehr nicht.
»Guten Abend«, grüßte ich freundlich, schließlich war es schon nach drei Uhr, und in Italien sagt man ab dem frühen Nachmittag ganz selbstverständlich »Buona sera« . Irgendwie war mir bisher noch nicht aufgefallen, dass in Deutschland da andere Gepflogenheiten herrschten.
Die Bäckereifachverkäuferin musterte mich, als müsste sie an meinem Verstand zweifeln, wovon ich mich jedoch nicht aus der Ruhe bringen ließ. Vorerst jedenfalls. Weitaus mehr irritierte es mich, dass sie mir nach einem vertrauten »Griasgod« noch ein lautes »Grias Eana« entgegenschleuderte, als ich ihren Gruß nicht ihren Vorstellungen gemäß erwiderte.
Auf »Griasgod« war ich seit meinem Wies’n-Sprachkurs bei den M&Ms und Otto bestens vorbereitet, daher dachte ich auch nicht, dass ich hier versehentlich in die als Bäckerei getarnten Räume einer christlich-fundamentalistischen Organisation geraten war – was ich vor wenigen Monaten sicher noch angenommen hätte. Auch war ich mir sicher, dass die fromme Frau mir die Sünde, die ich zu begehen drohte, nicht ansah, weswegen sie gewiss auch nicht vorhatte, mich mit ihrer Grußformel auf den rechten Weg zurückzuholen.
Aber Erna? Verwechselte die Bäckereifachverkäuferin mich etwa mit jemandem und glaubte, mich entgegen der sonst vorherrschenden Gepflogenheit des Siezens, an die ich mich fast schon gewöhnt hatte, mit meinem Vornamen ansprechen zu müssen?
Leicht verunsichert, was ich durch eine besonders hochnäsige Miene wettzumachen versuchte, deutete ich auf die leckeren Hörnchen im Schaufenster und sagte so selbstbewusst wie nur möglich: »Einen cornetto bitte.«
»Eis hamma ned«, lautete die Antwort.
Das stellte mich vor ein schier unlösbares Problem: Was hatte die gute Frau da gerade zu mir gesagt? Ich hatte »Eis« verstanden, aber was hatte ein Hörnchen damit zu tun? Und wer bitte schön kaufte bei diesen Temperaturen Eis? Wir hatten Januar. Spontan und flexibel, wie ich nun mal bin, wechselte ich binnen einer Sekunde von hochnäsig in den Bedürftig-Modus und blickte die Bäckereifachverkäuferin mit möglichst großen, bittenden Augen an. Bei Männern funktioniert die Masche immer. In Italien jedenfalls. Während mein Unterbewusstsein mir zufunkte, dass ich gerade weder in meinem Heimatland war noch vor einem Mann stand, schien die gute Frau zu merken, dass ich sie nicht verstanden hatte.
»Eis hamma ned«, wiederholte sie, ein wenig unwillig um ihre seltsame Kundschaft bemüht. Zwar redete sie nicht deutlicher, dafür aber deutlich lauter und mit leicht genervtem Unterton und fügte vorsichtshalber noch eine unmissverständliche Geste hinzu, die mich ganz offenbar zur Eile antreiben sollte. Sofort fiel mir die Szene mit der unfreundlichen Angestellten in der Mensa von neulich wieder ein – offenbar versuchten die Bayern, ihre sprichwörtliche angeborene Wortkargheit mittels Gesten zu kompensieren.
Jedenfalls sah ich mich in dem Laden um, ob hinter mir weitere Kunden standen, die dringend etwas kaufen wollten und womöglich ungeduldig warteten, doch da war niemand. Mein schlechtes Gewissen erkannte die einmalige Chance und quatschte sogleich dazwischen: »Siehst du, es soll nicht sein. Du bist eh zu dick. Lass es und geh wieder.« Auf gar keinen Fall, dachte ich und
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