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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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einer schmalen Goldrandbrille, deren Gläser verschieden dick waren. Das eine Auge schielte ziemlich stark und machte einen riesengroßen Eindruck im Vergleich zum linken, da das Brillenglas es so stark vergrößerte. Er trug einen leichten, hellgrauen Flanellanzug, der mindestens eine Nummer zu groß zu sein schien, er schlackerte ein bißchen um ihn herum.
    Das Gesicht war ziemlich schmal oder jedenfalls langgezogen, man könnte vielleicht sagen, daß es ein Pferdegesicht war, voll von braunen Leberflecken. Das Haar war leicht ergraut, kurz geschnitten.
    Der ganze Kerl machte einen sonderbar unbestimmten Eindruck. Er stand sofort auf, als ich den Hörer aufgelegt hatte – es brachte mich etwas durcheinander, daß er auf diese unmerkliche Art ins Zimmer gekommen war. Im Prinzip hätte er sich ja nur vorstellen müssen, aber ich war verwirrt genug, um ihm entgegenzugehen.
    – Troäng, sagte ich.
    Auch die Hände waren voller Leberflecken.
    – Ja, Tag, ich bin also Wittfogel, sagte er mit einem leichten Akzent, der dänisch oder deutsch sein konnte. Er hatte einen furchtbar schlechten Atem, er stank förmlich nach entzündeten Mandeln und ekligem altem Pfeifenrauch.
    – Es tut mir leid, daß ich nicht früher kommen konnte, aber ich war mehrmals hintereinander verreist, es hat so viele Kongresse gegeben in letzter Zeit.
    – Setz dich, sagte ich. Ich muß dich zuerst mal was fragen – irgendein Wittfogel hat mich vor einem Monat vom Grand Hotel aus zu erreichen versucht, als ich noch im Ministerium für Raumordnung war.
    – Vom Grand Hotel, nein, das ist unmöglich. Das muß jemand anders gewesen sein. Bist du sicher, daß du da keine Namen verwechselst?
    – Hör mal, das kann schon sein. Ich verwechsele gewöhnlich keine Namen, aber es ist ja möglich, daß meine Sekretärin da drüben ihn ganz einfach falsch geschrieben hat.
    Es war ihm tatsächlich gelungen, mich zu verwirren, ja, fast lächerlich fühlen zu lassen, nachdem er weniger als zwei Minuten im Zimmer gewesen war.
    – Ja, sagte ich, ich wollte dich ein bißchen darüber ausfragen, wie du unsere Tätigkeit einschätzt, vor allem die Fragen ihrer Politik. Wie soll also deiner Meinung nach diese Organisation sich selbst und ihre Aufgaben verstehen?
    Er antwortete, fast ohne zu überlegen.
    – Es spielt keine Rolle, wie sie selbst ihre Aufgabe sieht. Wenn eine richtige Umweltkatastrophe eintritt, und das muß früher oder später passieren, wird sie sich sowieso als vollkommen unzulänglich erweisen. Sie hat keine Chance, eine praktische Rolle zu spielen. Sie ist schwerfällig und akademisch organisiert und hat vor allem keine Kompetenzen.
    Aber das ist dir doch wohl klar?
    – Du bist jedenfalls sehr aufrichtig. Aber wenn das alles so hoffnungslos ist, muß man sich ja beinahe fragen, warum du dich trotzdem hier abrackerst. Du leitest doch die gesamte Krisenplanung.
    – Du hast mich mißverstanden, sagte er. Ich halte die ganze Sache keineswegs für hoffnungslos. Ich versuche nur, sie realistisch einzuschätzen.
    Ich glaube, wir könnten eine ganze Menge machen, wenn wir die nötigen Kompetenzen hätten. Aber die bekommen wir erst, wenn etwas wirklich Schlimmes passiert.
    – Du meinst, bei uns sei es wie beim Militär: In Friedenszeiten hätten wir nicht viel zu melden.
    – Genau. Aber mit einem wichtigen Unterschied. Das Militär hat immerhin die Möglichkeit, wenigstens einen Teil der männlichen Bevölkerung für den Krieg zu trainieren. Die haben wir nicht. Wenn wir so etwas wie eine Zivilverteidigungsübung für eine Epidemie oder eine Reaktorkatastrophe durchführen würden, hätte das eine Panik zur Folge. Die Regierung hätte den Schaden davon, man würde sagen, daß wir ohne begründeten Anlaß mit Schreckvorstellungen spekulieren, und wir hätten in Windeseile andere Behörden über uns.
    Ich überlegte. Er saß jetzt lässig im Stuhl zurückgelehnt, und hol mich der Teufel, wenn er nicht die Frechheit besaß, mitten im Gespräch in meinem Exemplar von Dagens Nyheter zu blättern, das zuoberst auf dem Posthaufen gelegen hatte. Ich hatte noch nicht einmal Zeit gehabt, sie aufzuschlagen.
    – Du prophezeist uns also, daß wir nicht lange überleben werden?
    Er warf mir einen sehr langen Blick zu. Das grotesk vergrößerte kurzsichtige Auge, das linke, war wirklich faszinierend, wenn er es so auf jemand richtete.
    – Soll ich die Wahrheit sagen, oder soll ich nur förmlich und höflich sein?
    – Jetzt werd ich gleich wütend –

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