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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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Krieg, für den Nazismus, für den Völkermord und ich weiß nicht was noch alles. Aber wo sind die Beweise? Ihr müßt euch fragen: Wer könnte den Krieg, den Völkermord usw. verhindern? In wessen Interesse liegt es, daß wir glauben, der Teufel sei für alles verantwortlich? Und die Verhältnisse in der Hölle? Haben wir den geringsten Beweis dafür, daß es dort wirklich so aussieht, wie man behauptet? Jede Beschreibung, die mir bekannt ist, stammt von der anderen Seite. Die einfachsten quellenkritischen Regeln sagen, daß man so nicht vorgehen darf. Man muß fragen: Für wen ist die Hölle eine Hölle, für wen bedeutet sie eine Verbesserung? Was wissen wir über die Slums im Himmel?
    – Psst, sagt meine Frau. Nicht so laut. Bei solchen Fragen haben die Wände wirklich Ohren.
    Kaum waren diese Worte gefallen, hörte man natürlich schon sonderbare Geräusche aus dem Flur. Es klang wie das leise Knurren eines dösenden Löwen, den irgend etwas in seinem Schlaf gestört hatte.
    – Das ist der Eisschrank, sagte Madeleine nach einer kurzen Pause, als wir alle am Küchentisch zusammengerückt waren. Der Eisschrank in dieser Wohnung macht komische Geräusche, wenn der Thermostat sich einschaltet.
    – Man müßte verschiedene Aktionen starten, sage ich. Man sollte beispielsweise eine Studiendelegation dort hinschicken können, wie nach China und Albanien. Und wenn diese Studiendelegation zurückkommt, kann sie ein hervorragendes Reportagenbuch herausgeben, als Paperback. Wie kriegt man eine Studiendelegation zustande?
    Die Malerin G. sah mich bedächtig mit ihren großen, dunklen, eigentümlichen Augen an.
    – Vielleicht gründet man eine Freundschaftsgesellschaft? Natürlich! Auf einer ganz unpolitischen Basis. Die irdisch-höllische Freundschaftsgesellschaft, mit der Aufgabe, für einen besseren Informationsaustausch und eine Erweiterung der kulturellen und theoretischen Beziehungen zu sorgen.
    Die Augen der Malerin waren dunkler und unergründlicher, als ich sie je gesehen hatte.
    – Du vergißt, daß es eine solche Freundschaftsgesellschaft gegeben hat. Die ganze Renaissance war davon erfüllt. Ihren Mitgliedern ist es nicht sehr gut ergangen. Sie wurden unter Foltern verhört, sie wurden auf Scheiterhaufen verbrannt, nach peinlichen Verhören.
    Sie überrascht mich manchmal. Es gibt Momente, in denen ich glaube, daß sie keine ganz alltägliche Person ist.
     
    Das Lebende vom Toten trennen. Die Phantasie von der Wirklichkeit zu trennen interessiert mich nicht besonders. Auch meine Träume sind Produkte dieser Zeit. Aber das Lebende vom Toten!
    Weiter unten an der Heerstraße gibt es eine Wohnsiedlung wie Tensta oder Vällingby. Ich gehe nur hin, wenn ich neue Pfeifenreiniger brauche, und ich bin jedesmal wieder genauso erschrocken.
    Zwei- oder dreihundert Meter lange, dreißigstöckige Mietshäuser türmen sich zum Himmel auf, Apotheke, Lebensmittelgeschäft, Tabakladen bilden am Markt eine ordentliche Reihe. Kleine Kinder spielen in Sandkästen mitten im Einkaufszentrum, während die Mütter in ihre Läden gehen, Kinder, die schon ganz verbitterte kleine Gesichter haben.
    Mein Gott, das ist die normale Welt! Ich möchte wissen, wie viele solche Orte ich in meinem Leben schon gesehen habe.
    Mit einem grauen, regnerischen Himmel darüber.
     
    Wo, in einem solchen Straßenzug, findet man Romanhelden?
    Es ist kein Zufall, daß alle guten Romane bürgerlich sind. Romane können fast auf alles verzichten, nur nicht auf die Möglichkeit einer Handlung.
    Es ist keine Kunst, einen Roman zu schreiben, der so beginnt: Mein Onkel war Kommandeur des dritten kaiserlichen Ulanenregiments. Zu der Zeit, als Sebastopol belagert wurde...
    Ein Roman setzt ein bestimmtes Maß an Freiheit voraus, bestimmte Dimensionen, in denen die Handelnden sich bewegen können. Balzac: das Geld, die Macht. Ein Ersatz ist die Erotik, aber sie hält nicht ganz so lange vor, wie man glaubt. Die Erotik endet allzu leicht damit, daß wir wieder an das Einkaufszentrum erinnert werden. Ist der Held des Vorstadtzentrums jemand, der einen Homunculus in seiner Badewanne züchtet? Jemand, der in seiner Küche Gold macht? Jemand, der seine Frau zerstückelt und sie Stück für Stück in den Müllschlucker steckt?
    Es gibt fast nur eine einzige Möglichkeit, ein Einkaufszentrum als einen interessanten Ort darzustellen, und zwar, indem man es als Schauplatz eines Verbrechens schildert. Aber das ist ja eine Lüge. Hier stecken die Helden wie Nägel in

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