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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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mich befand.
    (Wenn ich als kleines Kind litt, dann litt ich auf die gleiche Art. Und im Innersten dieses abscheuliche, verlegene Gefühl, daß man sich dies alles selbst zufügt.)
    Ich will Frieden haben, Klarheit, Vernunft, größere Ansprüche, eine reinere Syntax – ich wäre bereit, viel mehr zu bezahlen, als es diese erbärmliche Rechnung verlangt, wenn ich nur in die reine Winterluft hinauskommen könnte (es hat jetzt zu schneien aufgehört), wenn ich meine eigenen Gedanken wieder ganz deutlich vernehmen könnte.
    Und endlich, nach siebenundvierzig Minuten, entdeckt mich einer der Kellner und läßt mich zahlen. Paralysiert und gedemütigt nehme ich die widerlichen kleinen Rabattmarken entgegen, die er mir überreicht.
    Bevor ich draußen bin, kommt mir der glückliche Einfall, die idiotischen kleinen Papierfetzen den effeminierten Jünglingen zu geben, die kaum reagieren können, als ich auch schon zur Tür hinaus bin, die für immer hinter mir zuschlägt.
    (Wie viele Türen schließt man nicht auf diese Art in einem Leben? Wie viele öffnet man?)
    Und spüre, ganz weit im Hinterkopf, daß ich etwas vergessen habe, etwas Wichtiges, daß etwas fehlt, ein wichtiges Spurenelement, das in mikroskopischen Dosen den empfindlichen Geweben des Körpers zugeführt werden muß, damit sie nicht absterben, etwas mit klarerer Luft, und daß nur nicht...
     
    Noch den ganzen Sveavägen entlang, noch auf der Treppe zur Wohnung in der Hagagatan such ich in meiner Erinnerung nach dieser verlorenen Substanz; ich setze Teewasser auf den Gasherd, ohne mich recht erinnern zu können, noch bleich vor Wut über die Demütigung, daß mich in einem Restaurant niemand hat sehen wollen, und gedemütigt davon, daß ich mich von etwas so Bedeutungslosem demütigen lasse, und mit dem glasklaren Bewußtsein, daß dies mein Problem gewesen ist, seit ich drei Jahre alt war: daß niemand mich hat sehen wollen. Und ist es nicht doch eine Lüge? Sieht nicht meine Frau mich an mit ihren flinken, klaren Augen, sehen nicht meine kleinen Kinder mich an? Was kann ich mehr begehren? (Briefwechsel, Widerhall, Kommunikation, was auch immer, auch Widersprüche: denn die Welt ist da, wo dir widersprochen wird.)
    Daß jemand mich ansehen, mich auf eine besondere, auffordernde Art ansehen würde, als könnte ich...
    Sehr leicht finde ich unter den unzähligen Namen, Telefonnummern, Adressen, Kryptogrammen in meinem kleinen schmutzigen Taschennotizbuch mit den Eselsohren die richtige Nummer heraus.
    Den Kopf neben dem uralten Wandtelefon an die braune Tapete gelehnt, die nachdunkelnden Rosen der Tapete betrachtend, ab und zu einen Blick auf die undeutliche Bleistiftschrift des Notizbuches werfend, taste ich mich durch die lange Richtnummernserie, die zu dem internationalen Telefonnetz führt, durch die Richtnummer, die über endlose preußische Lehmäcker, durch Koaxialkabel tief unter den Gräben der Alleen auf Berlin zuführt. Ferne Stimmen und ein Rauschen. Es ist eine Nacht voller Störungen, voll von fremdem Gemurmel. Und dann schließlich das fremde und glockenhelle Läuten. Eine tiefe Männerstimme antwortet.
    – Piatowski.
    – Professor Piatowski?
    – Leider nein.
    – Dozent Piatowski?
    – Nein.
    – Genosse Piatowski?
    – Nein. Keineswegs. Also hier ist der Gärtner Piatowski in der Königin-Louisenstraße.
    – Ach wie gut, Herr Piatowski, daß ich sie erreicht habe.
    – Ja?
    – Es geht um meine Stockrosen.
    – Ach so?
    – Sie sind noch nicht herausgekommen.
    – Das kann möglicherweise daran liegen, daß wir heute den zweiten Dezember haben.
    – Meinen Sie wirklich, Herr Piatowski?
    – Ja, freilich.
    – Also schön, Herr Piatowski. Dann sehen wir uns vielleicht, wenn es Frühling wird?
    – Ja freilich.
    – Also dann, vielen Dank, Herr Piatowski. Und auf Wiedersehen. Darf ich Sie bitten, die Neffen zu grüßen?
    – Danke, das werde ich ausrichten.
    – Und Fräulein Elfriede?
    – Fräulein Elfriede?!?
    – Ja natürlich.
    – Sie müssen sich geirrt haben!
    – Das glaube ich auch. Auf Wiedersehen, Herr Piatowski.
    Verflucht sei meine Angewohnheit, die 9 und die 4 immer so zu schreiben, daß sie nicht zu unterscheiden sind!
    Wieder hinaus in das geheimnisvoll summende Leitungsnetz. Aber jetzt ist es wie verhext, Sperrzeichen unterbrechen mich, der Anschluß ist nicht in Ordnung, ich bekomme ein Besetztzeichen, bevor ich eine einzige Ziffer gewählt habe, ich werde mit dem Nachtwächter in einer Brauerei in München verbunden,

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