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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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einem ihrer Väter oder jemandes anderem Vater, sie trinken das seelenlose, nivellierte, unpersönliche Mischgesöff aus mittelmäßigen Weinen, das sich »Le Cardinal« nennt, und loben es, als wüßten sie etwas von den humanen, lebendigen Kulturprodukten, die die Bordeauxweine sind, sie sprechen über eine ihrer Freundinnen, der ihr Vater das Monatsgeld auf zweitausend Kronen erhöht hat. Sie sind so demonstrativ laut, daß ich mich frage, ob ich zu ihrem Tisch hinübergehen und ihnen zu der Erhöhung gratulieren soll.
    Der schreckliche, schwere Bratendunst in dem schlecht gelüfteten Restaurant wird plötzlich aufdringlich: ich nehme immer mehr Gesichter um mich her wahr. Diese Gesellschaft mit dem Vater im gestreiften Anzug, mit einem unbeweglichen, toten Gesicht (dem Gesicht der Macht), der Mutter, die ständig redet, dem Sohn, der sich beflissen vorbeugt, der Tochter, die schweigend dabeisitzt. Diese Herren, die dasitzen und ganz unverhohlen über einen abwesenden Kollegen aus ihrer eigenen Abteilung herziehen und hoffen, daß er möglichst viele Fehler macht, damit sie ihn loswerden können, dieser gräßliche, kraushaarige junge Mann im Blazer mit den fetten Backen, der dasitzt und über die Elchjagd spricht. Wo bin ich gelandet? Warum bin ich hierhergegangen? Und die Stimmen! Gibt es hier keinen einzigen Menschen, der über eine normale Stimmlage verfügt? Keinen einzigen, vielleicht mit Ausnahme der italienischen oder möglicherweise arabischen jungen Kellner, die servieren. Gequetschte Falsette, effeminierte Männerstimmen, gekünstelte Aufschreie, falsche Betonungen, schlechte, verschwommene, umherfließende Vokale, vermanschte Konsonanten, ein stakkatohafter, gehetzter, schneidender Rhythmus, wo bin ich? Gibt es hier niemanden, der sprechen kann? Was sind das eigentlich für Tonfälle, für Stimmlagen, die hier vorherrschen? Wer hat sie uns aufgezwungen? Bratengeruch, schaler Parfumduft, Zigarettenrauch, all das habe ich vorhin nicht einmal bemerkt, und jetzt erstickt es mich beinahe.
    Mit diskreten Zeichen gebe ich dem Ober zu verstehen, daß ich zahlen will. Er sieht mich nicht. Ich winke den italienischen oder türkischen Kellnern. Sie sehen mich nicht, Herr Warburg, der Wirt, durchquert den Raum, nickt liebenswürdig nach allen Seiten. Ich räuspere mich, ich huste. Man hört es nicht. Es ist plötzlich, als hätte ich aufgehört zu existieren, als wäre ich für niemand mehr greifbar, außer mir selbst.
    Nun folgen vierzig sonderbare, qualvolle Minuten, die ich für immer als grenzenlose Hölle im Gedächtnis behalten werde.
    Kellner kamen und gingen. Neue Gäste trafen ein, wurden zu neuen Tischen geleitet, bestellten ihre Fleischstücke, ihre gebackenen Kartoffeln und bekamen sie. Gäste bekamen ihre Rechnungen, bezahlten, verschwanden.
    Nur mich sah man nicht. Einmal, an einem windigen Frühlingsmorgen mit Regen von der Ostsee her, hatte ich zweiundvierzig Minuten lang in dem großen einsamen Speisesaal des Hotels Sopot in Gdansk gesessen und mein Frühstück zu bezahlen versucht. (Eine Eigentümlichkeit der polnischen Kellner ist ihre totale Unkenntnis der elementaren numerischen Algebra, in der sich die Mathematik der Wirtshausrechnungen im wesentlichen abspielt, und sie vermeiden es so lange wie möglich, auf die Probe gestellt zu werden.)
    Es war ein kalter, windiger Morgen in Gdansk. Die Kastanien ließen ihre eben ausgeschlagenen Blätter im Regen hängen. Graue Wellen schlugen an den Strand. Aber im großen und ganzen war alles gut. Nichts bedrohte mich: die großen Räume mit ihren Stuckornamenten waren von dem grauen und keuschen Licht des Maimorgens erfüllt.
    Die Luft war rein.
    Im Restaurant Gourmand war ich gezwungen, siebenundvierzig Minuten lang zu warten, während meine Lungen bis in die feinsten Kapillaren hinein Bratenfett einatmeten, während mir langsam der Kopf vor rasenden Schmerzen platzte, während die affektierten Tenöre und die gequetschten Soprane um mich herum sich zu einem Höllenlärm steigerten, mit ihren Steuerrückständen, ihren Taschengeldern, ihren Elchjagden, ihren Aufenthalten auf den Balearen, ihrer verschwommenen Phonetik, ihrer steifen toten Syntax. Das Hohngelächter der Dämonen, das Kläffen der Hunde!
    Was hinderte mich daran zu schreien, zu rufen, mit den Armen auszuschlagen oder wenigstens die Stimme zu erheben? Ich weiß es nicht. Ich war allzu niedergeschlagen, allzu paralysiert, schon allzu gedemütigt, um deutlich zu machen, wer ich war, wo ich

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