Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)
die Bergmassen, die wie ein erfrischender Wind, wie ein Monteverdi-Wind, an ihm vorbeiströmten, und mit einem Krachen wie von tausend Bomben ließ er sich lustvoll durch den Granit fallen. Der frische Wind aus kristallinischem Stein, das Gefühl, sich wieder in der kargen, vertrauten Landschaft seiner Heimat zu befinden, das alles versetzte ihn in eine strahlende Laune. Er vermied mit knapper Not einen Zusammenstoß mit einem anderen Blip, der langsam und bedächtig in den Bergmassen aufwärts kreiste. Sie tauschten männlich barsche Grüße, und jeder folgte weiter seinem Kurs.
Mit einer Retardation, die einen fallenden Meteor innerhalb von einer Sekunde in leuchtendes Gasplasma verwandelt hätte, fing ihn das äußere Magnetfeld der Stadt auf, und in elegantem Gleitflug durchbrach er die Wand des Instituts.
– Willkommen!
– Willkommen, Kiirk-Fa!
– Willkommen!
– Ja. Leider. Das Signal ist unverändert. Alle unsere Versuche, es auszuschalten, sind gescheitert.
– Herr Dozent (ich übersetze hier einen Titel, der vielleicht nicht ganz leicht zu übersetzen ist, mit »Dozent«. Andere Übersetzer würden möglicherweise »Privatdozent« vorziehen, aufgrund der etwas schwerverständlichen Gesellschaftsstrukturen auf Ygal-Ygal, wieder andere würden »kleine Schwester« sagen, aber ich kann nicht näher darauf eingehen, denn dann komme ich nie mehr zur Pointe meiner Geschichte), haben Sie einen Kontakt hergestellt?
Kiirk-Fa schüttelte mit einigen energischen, kurzen Flügelschlägen etwas Granitstaub aus den Flügeln.
Blips werden in Stein geboren, leben in Stein, fliegen in Stein, wie unsere Lerchen in der Frühlingsluft, und trotzdem haben sie offenbar einen uralten, tiefverwurzelten Widerwillen dagegen, sich staubig zu machen.
– Nur bruchstückhaft, Herr Laborant. In den letzten Tagen gab es ungewöhnlich viele intergalaktische Störungen. Dadurch verstärkt sich die Zeitverschiebung.
– Ich verstehe, Herr Dozent. Spielen Sie uns bitte ein Stück davon vor?
– Sofort.
Der Dozent tippte an einen blauroten Kreis, der mit phosphoreszierendem Schein inmitten der granitenen, dichten Dunkelheit des Raums hing.
– Etwas lauter bitte, ich bin wohl bei der Landung ein bißchen schwerhörig geworden. Ich war zu lange da draußen im leeren Raum.
Beflissen tippte der Dozent erneut an den Kreis.
VIVAT ET FLOREAT REX
tönte es dreistimmig aus dem Lautsprecher, einem schimmernden Plasma an der Decke.
– Das sagt mir nichts, meinte Kiirk-Fa.
– Die ersten Male hat es mir auch nichts gesagt. Aber unsere Bearbeitungsabteilung im System 203 hat es herausgefunden. Es ist Adam Jarzebsky.
– Verdammt, sagte der Laborant Kiirk-Fa. Verdammt! Das ist sein Hofkomponist!
Der Dozent nickte.
– Da wären wir wieder am Nullpunkt. Total blockiert! Verflucht noch mal!
– Ja, Herr Laborant, es sieht ganz so aus, als ob er die Flotte hätte. Verdammter Mist!
– Aber was zum Teufel will er nur damit?
– Wenn wir das wüßten.
– Herr Dozent, rufen Sie bitte Abteilung A an? – Sofort.
– Es gibt nur einen Ausweg.
– Welchen?
– Infiltration. Die Abteilung A muß uns helfen, einen Spion einzuschmuggeln. Mit allen Mitteln. Einen Spion.
Zu einer Lautstärke aufgedreht, die eine Armada von startenden Jets wie einen Geisterhauch hätte erscheinen lassen, mit abnorm vergrößerten, silbernen Trompeten, schallte Adam Jarzebskys feierliche alte Hymne an König Sigismund, Vivat et floreat rex , durch einen Raum, der gar keiner war.
Die Malerin G. faßt einen Entschluß
Es müßte eigentlich schon später in der Nacht sein, aber seit einer Stunde ist die Uhr tatsächlich auf eins stehengeblieben, dachte die Malerin G.
Die Teetassen klapperten gemütlich in ihrem Arbeitszimmer. Der zarte, zarte Schimmer, der das erste Zeichen dafür war, daß ein Frühlingsmorgen heraufzog, hing seit einer Stunde – oder waren es mehrere – unbeweglich am Horizont.
Die Herren Belo, Uriel und Azaar saßen in einer Reihe auf dem Sofa unter dem Bücherbord, wohlerzogen wie junge Diplomaten aus einem Entwicklungsland, die zu einer Cocktailparty in Bonn eingeladen sind, und schauten die Malerin verliebt an.
War sie während der letzten halben Stunde nicht schöner geworden? Leuchteten ihre Augen nicht mit einem neuen, einem tieferen Glanz?
– Liebe Laura, sagte Belo (sie hatten beschlossen, einander Laura und Belo zu nennen), ich glaube, daß all die kleineren Punkte sich ganz leicht erledigen lassen.
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