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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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orientalischen Basaren; dichtverschleierte Frauen drängten sich vor den Ständen und befühlten die Früchte mit der erfahrenen Miene anatolischer Bäuerinnen.
    Durch den Grunewald galoppierten die Reiter. Lautlos fing der weiche, unbemooste Boden die Hufschläge auf.
    Im U-Bahnnetz gab es in diesem Frühjahr zwischen dem Ernst-Reuter-Platz und dem Heidelberger Platz eine sehr große unterirdische Baustelle.
    Wenn man in der Bahn daran vorbeifuhr, sah man, daß der Tunnel sich plötzlich zu einem riesigen Gewölbe erweiterte, in dem gewaltige Eisenträger von plötzlich aufflackernden Feuerflammen beleuchtet wurden. Jugoslawische und türkische Gastarbeiter kletterten in diesem verwirrenden Raum ohne klare Dimensionen herum, schwere Kranwagen schwenkten die großen Träger an ihren Platz, und ein fürchterlicher Lärm von Bohrmaschinen, Pumpen und Raupenschleppern hallte durch die mächtigen Gewölbe, in denen es stark nach heißem Metall und frisch gegossenem Beton roch. Ein scharfer Geruch, fast wie nach Krieg oder Naturkatastrophen, dachte die Malerin G., als die Bahn, die erste U-Bahn dieses Morgens, plötzlich an dieser Stelle stehenblieb.
    Belo, Uriel und Azaar erhoben sich munter, mit unbegreiflich frisch rasierten, ausgeruhten Gesichtern, als sei es ihre Absicht, hier auszusteigen.
    Sie waren es, die vorgeschlagen hatten, die Reise mit der U-Bahn zu beginnen, und bei diesem Vorschlag war sie in eins ihrer seltenen, offenen, direkten Gelächter ausgebrochen, weil das so haargenau mit den Vorstellungen übereinstimmte, die sie sich von der ganzen Reise gemacht hatte.
    Und jetzt blieb die Bahn an dieser Stelle stehen, ausgerechnet. Der Lärm der Preßluftbohrer draußen ließ fast die Fensterscheiben des U-Bahnzugs vibrieren.
    – Liebe Freundin, sagte Belo, und bot ihr ritterlich den Arm, während Uriel ihre Reisetasche unter dem Sitz hervorzog (sie war ein wenig unsicher gewesen, was man auf einer solchen Reise brauchen könnte, Zahnbürste, Wollpullover, nach einigem Zögern einen kleinen Torchon-Aquarellblock und ein paar Farbtiegel, und dann noch etwas, wobei sie wirklich lange gezögert hatte), wir müssen hier umsteigen!
    – Aber hier ist doch keine Haltestelle, sagte die Malerin G., die für Lärm nichts übrig hat und diesen Ort überhaupt ziemlich unangenehm fand.
    – Es ist ein Sonderzug, sagte Belo.
    Und tatsächlich, jetzt gingen die Türen auf. Sie stiegen aus (offensichtlich waren sie die einzigen Passagiere in dem ganzen Wagen) und betraten etwas, das kein Bahnsteig war, sondern nur eine schmale Laufplanke oder Brücke, die auf einem Eisengerüst ruhte. Das Getöse war ohrenbetäubend, und durch die Ritzen zwischen den Planken sah sie tief unter sich einen Bagger, der mit höllischem Lärm im Licht zweier starker Scheinwerfer in dem feinen, gelben, postdiluvialen Sand von Berlin herumstocherte, mindestens vierzig Meter unter ihnen.
    – Vorsicht, es kann rutschig sein, brüllte Belo ihr ins Ohr. Es ist nur ein kleines Stück.
    Sie begegneten Arbeitern mit gelben Sturzhelmen und Ingenieuren mit Rechenschiebern hinter dem Ohr, aber niemand schien sie auch nur im geringsten zu bemerken. Die Malerin G. fand das eigentümlich, hatte aber während der vergangenen Nacht und im Laufe des Morgens schon zu viele Eigentümlichkeiten erlebt, um sich noch richtig wundern zu können.
    – Wäre es nicht bequemer gewesen, von Tempelhof aus zu reisen, rief sie laut in Belos Ohr.
    – So früh am Morgen kann man noch keine Flüge buchen, und außerdem ist es kein Vergnügen, sich an den Ausgängen mit fetten alten Weibern zu drängen, erwiderte Belo schreiend. Er schien strahlender Laune zu sein.
    Sie mußten mindestens dreißig Meter auf dem schmalen Steg gehen, der nur auf einer Seite durch ein Geländer gesichert war. Instinktiv wich die Malerin G. jedesmal ans Geländer zurück, wenn ihnen Arbeiter entgegenkamen. Mein Gott, wie können es die Leute nur aushalten, in einer so abscheulichen Umgebung zu arbeiten, dachte sie und warf einen erschrockenen Blick auf die kleinen, kurzbeinigen, stämmigen Türken mit ihren Schnurrbärten und ihrem gelben Ölzeug, denen sie immerzu begegneten oder die ihnen entgegenkamen, riesige Schraubenschlüssel in den Händen.
    Am Ende des Laufstegs war ein Eisengitter, davor eine Art Schutztür, mit Maschendraht überzogen. Belo drückte auf einen gelben Knopf, der am Rahmen angebracht war. Alle warteten. Uriel, der es offenbar leid war, ihre Reisetasche zu tragen, stellte sie

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