Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)
diesen Geschöpfen noch etwas vertieft, wird mich das vor Aufgaben stellen, die noch niemand in der Weltliteratur hat lösen können.
Daß die Malerin G. in die Hölle geschickt wurde, hatte ja den Zweck, diese schwierige Klausel in den Vertrag hineinzubekommen, die einzig wichtige Klausel: für vierundzwanzig Stunden ein anderer Mensch sein zu können.
Das ist es ja, wozu ich sie brauche.
Wenn sie es auf keine andere Art schaffen kann als durch Liebe, ist mir das auch recht, aber die Klausel muß sie durchsetzen.
Armes Mädchen! Was wird dann aus ihr werden? Wird sie nach dieser Erfahrung je wieder mit einem irdischen Mann zusammensein können?
Ach, was für ein dummes Gerede! Mit nichts anderem verdienen doch die Autoren in den Illustrierten ihr Geld, wegen nichts anderem kaufen doch die Schwestern in Tensta und Farsta ihre Illustrierten. Nur mit dem Unterschied, daß ich, vom Schriftstellerfonds subventioniert, die Sache etwas deutlicher machen kann:
Der Traum von der Liebe zu einem Dämon.
Das wäre ja noch schöner, wenn ich nicht etwas ganz Flottes daraus machen könnte!
SEINE PECHSCHWARZE HAND, DIE AUF DER LINKEN SCHALE IHRES FAST VÖLLIG ZERFETZTEN BÜSTENHALTERS RUHTE, WAR JETZT SO HEISS, DASS SIE VOR SCHMERZ AUFSCHRIE
(Die Liebe, die uns Freude schenken sollte, die höchste Freude, wird hier mit der tiefsten Unterwerfung verbunden. Das Peinliche an der Pornographie ist ja nicht, daß man an seine Lust erinnert wird oder an die Lust, die einem vielleicht entgangen ist. Das Peinliche ist, daß sie uns überdeutlich daran erinnert, daß in der Welt, in der wir leben, die Lust der Macht unterworfen ist. Nach dem armen Marquis, der doch nur sah, ohne zu begreifen, was er sah, hat sich niemand mehr darangewagt. Encore un effort, citoyens!)
GANZ VERNICHTET SPÜRTE SIE, WIE EINE WARME FLÜSSIGKEIT AUS IHREM WIMMERNDEN SCHOSS QUOLL: IHRE HÜFTEN GERIETEN GEGEN IHREN WILLEN IN EINE RHYTHMISCHE BEWEGUNG, SCHMERZHAFT STARK SPÜRTE SIE, WIE IHRE GEBÄRMUTTER STEIF WURDE UND SICH ZU IHRER HOCHGEZOGENEN LAGE AUFRICHTETE. IMMER NOCH RUHTE DIE SCHWARZE HAND, UNENDLICH VIEL SCHWÄRZER ALS EINE NEGERHAND, SCHWARZ WIE ANTHRAZIT, AUF DER SCHALE IHRES BÜSTENHALTERS. ES WAR UNGEHEUER STILL IM ZIMMER
Wir fangen noch einmal an. Wir geben nicht auf.
Ich war also so weit gekommen, daß ich mich in Berlin befinde, schon seit Monaten unverändert stumm und taub, in einem ebenso tiefen Schlaf wie die sorgfältig einbalsamierte Leiche König Sigismunds III. in ihrem Sarkophag im Krakauer Dom. Solche Todeszustände habe ich schon ziemlich oft erlebt, aber dieser gehörte zu den schlimmeren. Der Abstand zwischen diesem vernünftigen Schlauberger, der Artikel schrieb und im Rundfunk Vorträge hielt, und mir selbst, war einige Wochen lang astronomisch groß.
Und dann dieses verdammte Bild auf dem Klohäuschen in Ramnäs, das ist wichtig. Ein leicht bekleidetes, appetitliches Paar flieht aus einer zerschlagenen Glasglocke in einem brennenden Laboratorium, verfolgt von einem langbärtigen Kaiser Ming, der es sich offenbar in den Kopf gesetzt hat, sie mit seiner Laserpistole niederzuschießen.
Meine eigene Situation begann mich zu belasten. In der U-Bahn brach mir manchmal der kalte Schweiß aus. Ein paar Wochen lang hatte ich eine seltsame Phobie, die sich darin äußerte, daß ich meinte, ohnmächtig oder verrückt zu werden, wenn ich auf der Straße unterwegs war. Die Panik war nicht mehr fern.
Meine Tagträume beschäftigten sich immer öfter mit diesem alten Bild.
(Ist »sich beschäftigen« das richtige Wort für das, was der Ertrinkende mit dem Strohhalm macht?)
Das Bild, das aus einem Wochenblatt ausgeschnitten sein muß, ist mit vier blanken Reißzwecken an der Wand aus harzigem Kiefernholz befestigt. An der rechten Seite ist es etwas eingerissen.
Es hing dort bis weit in die fünfziger Jahre hinein.
Dann wurde das Haus verkauft.
Es ist interessant zu sehen, wie das Kleinbürgerliche jeden Zoll von einem selbst durchdringt, auf Lebenszeit, obwohl man längst die eigenen Voraussetzungen durchschaut zu haben glaubt.
Ich frage mich oft, in welchem Jahr der Kleinbürger in mir vollendet war, in welchem Alter ich gelernt hatte, gehorsam und tüchtig zu sein. Als ich zehn war? Als ich fünf war? In welchem Alter die Tüchtigkeit , ich meine, das Bedürfnis, im Wertsystem der anderen etwas darzustellen, entstanden ist.
Irgendwann zur Zeit der Schlacht von Stalingrad, d.h. im Dezember 1942, bin
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