Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)
alten Offizierswitwen mit ihren Klöppelkissen im Schoß.
Jetzt, denke ich, jetzt werde ich gleich verrückt, eingesperrt in diesen Wagen. Es wird mit einem komischen Zucken im rechten Arm anfangen, das nicht zu kontrollieren ist. Dann werde ich aufspringen und mit eigentümlichen Lauten im Wagen hin und her rennen, der nächsten Offiziersgattin den Schlüpfer herunterziehen, mit ihrer Schere diesem türkischen Meisterringer an der Tür den halben Schnurrbart abschneiden, mich in Krämpfen am Boden wälzen, weiß der Teufel, was noch alles. Und diese ganze Angst ist die Angst davor, aus der Rolle zu fallen, komisch auszusehen.
Wenn ein Komitee, zusammengesetzt aus hervorragenden Psychiatern, mir versichern könnte, daß der endgültige Ausbruch des Wahnsinns sich bei mir auf eine sehr diskrete, unmerkliche, zurückhaltende Art vollziehen werde, dann würde ich mich weiß Gott ganz zuversichtlich, fast sicher fühlen angesichts dieser Perspektive.
Die Angst, kein Geld zu haben. Sie war in meinem Kindheitsmilieu stets gegenwärtig, sie saß wie eine Pest in den Wänden. Es gehörte damals, ich spreche von den vierziger Jahren, zu meinen Ehrenpflichten, allen Onkels, die mit Rechnungen ankamen, zu erzählen, mein Vater sei einberufen und meine Mutter ausgegangen. Manche glaubten mir, andere nicht.
Meine Tanten und Onkel, alle außer Tante Clara, redeten ständig vom Geld. Bis auf Clara gab es keine einzige Tante, die nicht jede Woche im Lotto spielte und jedesmal wieder genauso hoffnungsvoll war, wenn sie mit ihrem Los vom Kiosk in Kyrkbyn zurückkam. Von den Onkeln trieb Stig es natürlich am tollsten. Er träumte nicht wie die Tanten von hunderttausend Kronen. Er träumte von Hunderten von Millionen bei jedem neuen Patent, das er anmeldete. Und er war fest davon überzeugt, daß jemand anders sie immerzu auf seine Kosten einstriche. Daher seine Patentprozesse.
Die ganze Familie saß wirtschaftlich gesehen in einer Falle. Keiner von ihnen konnte hoffen, während seines ganzen Lebens mehr als zehntausend Kronen auf dem Sparbuch zusammenzukriegen.
Keiner hatte eine Chance, je aus seinen bescheidenen Verhältnissen, den niedrigen Löhnen und kleinen Wohnungen, aufzusteigen.
Es wäre besser für sie gewesen, wenn sie ihre Träume aufgegeben hätten, wenn sie aufgehört hätten, sich mit dem Gedanken an Geld herumzuquälen. Sie konnten es einfach nicht lassen, in dieser Sache mit dem Geld herumzustochern, genau wie jemand, der einen bösen Zahn hat, es nicht lassen kann, ständig mit der Zunge daran herumzustochern.
Ich habe in meinem Leben bestimmt mehrere sehr reiche Menschen getroffen. Claude Gallimard, einen Baron von Bohlen. Einige Verleger, ein paar Industrielle.
Ich bin fest davon überzeugt, daß sie nicht mehr als fünf Prozent der Zeit darauf verwenden, von Geld zu reden und an Geld zu denken, die meine Familie darauf verwandte.
Ich bin ganz genauso. Ich habe ihre ganze armselige, wahnwitzige Fixierung mitbekommen.
Geld ist für mich das beste Nervenberuhigungsmittel. Man kann nie genug davon kriegen. Nichts (außer vielleicht verrückt zu werden) könnte so schlimm sein, wie eines Tages ohne Geld dazustehen.
Wohlgemerkt stelle ich das nicht als eine Wahnidee dar. Ich glaube, es ist ein ziemlich genaues Bild von der Wirklichkeit. Geld ist nun mal das beste Beruhigungsmittel für die Nerven, nichts ist so beschissen, wie arm zu sein, es sei denn, man hätte eine schreckliche Krankheit, aber sogar bei Krebsschmerzen hilft Morphium ein wenig, und man hat ja immer die Hoffnung zu sterben, doch welche Betäubungsmittel gibt es gegen die Armut?
Es ist keine Kunst, Selbstbekenntnisse abzulegen und Bücher von »radikaler Offenheit« über sich selbst zu veröffentlichen, solange man von seinen »Problemen«, seinen Perversionen und seinem Seelenschmerz reden kann.
Es ist ein sehr viel größerer Schritt, wenn man anfängt, von seinen Tagträumen zu reden. Das tut nicht jeder.
Die Malerin G., die richtige Malerin G. also, die ich neulich in ihrer Slumwohnung besuchte, in der das Atelier schmal wie eine Garderobe ist und ein spärliches Licht aus dem dreißig Meter tiefen Schacht einer türkischen Mietskaserne in Moabit bezieht, vertraute mir an, es sei ihr Lieblingstagtraum, hinter einem Vorhang eine Tür zu finden, die sie nie zuvor bemerkt hat.
Wenn sie müde ist, kann sie stundenlang einfach dasitzen und sich ausmalen, wie sie diese Tür aufmeißelt, und wenn sie sie schließlich aufbekommen
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