Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)
von ihm weg, und er kommt trotzdem immer näher, zwingt mich ihn zu sehen und weckt mich.
Noch bis Weihnachten haben die Tabletten ganz gut geholfen – ich bekam sie zuerst in Fagersta, als sie noch glaubten, es sei ein Nierenstein. (Ganz zu Anfang dachte ich übrigens, es sei ein Hexenschuß, und später, es sei die Prostata, aber wie sich herausstellte, hatte ich nicht die geringste Ahnung davon, wo es bei einer Prostataentzündung weh tut.)
Jetzt, eine Weile nach Weihnachten, zeigt es sich, daß die ziemlich starken Tabletten gegen den Nierenstein – ich bekomme sie Gott sei Dank ständig neu verschrieben – ihn nicht mehr dämpfen können. Nicht der Schmerz ist stärker geworden, sondern die Tabletten, d.h. mein Nervensystem, haben ihn irgendwie aus dem Griff verloren.
Er gibt mir wieder einen Körper; seit der Pubertät habe ich nicht mehr so stark empfunden, daß ich einen Körper habe. Ich bin intensiv darin anwesend.
Nur ist dieser Körper der falsche. Es ist ein Körper, in dem es glüht.
Und dann natürlich die Hoffnungen. Letzte Woche war ich einige Tage lang ganz sicher, er würde wirklich langsam verschwinden, alles war wie sonst, ich hatte fast vergessen, wie normal mein Körper sein konnte, bevor der Schmerz da hinten am Rücken ernstlich begann. Ich wagte natürlich kaum zu hoffen, hoffte aber doch.
Ich machte kleine Spaziergänge und merkte, daß der Schmerz in den letzten Monaten tatsächlich die ganze Landschaft sonderbar gefärbt hat. Hier steht ein Baum, an dem es besonders weh tat, dort ein Zaun, gegen dessen Pfosten ich im Gehen mit der Hand schlug. Kam ich an diesen schmerzfreien Tagen zurück, war der Schmerz sozusagen am Zaun hängengeblieben.
Der Schmerz ist eine Landschaft.
Dann kehrte er natürlich zurück, am Sonntagabend, nicht auf einmal, sondern langsam, in kleinen Anläufen, ungefähr wie ein Hund, der schnuppernd eine Spur verfolgt.
Es brauchte ziemlich viele Arztbesuche, bis sie sich die Frage stellten, ob es möglicherweise Krebs sein könnte. Und dann noch eine Menge weiterer Arztbesuche und viele Tage in Wartezimmern mit diesem Proletariat der Schmerzen, bis sie sich dazu entschlossen, alle möglichen Gewebeproben und Blutproben zu entnehmen und Kontrastuntersuchungen zu machen. Es dauerte ziemlich lange, bis alle Proben entnommen waren. Es wurde November, es wurde Dezember.
Dann hörte ich überhaupt nichts mehr von ihnen, erst gestern, also am letzten Februar.
Als der Brief schließlich kam, machte ich ihn nicht sofort auf. Statt dessen machte ich einen langen Spaziergang mit dem Hund und dachte über die Situation nach. Die Landschaft war unverändert, sehr grau, nackte Bäume mit rührenden Bleistiftzweigen. Auf dem See dickes Eis mit feuchtem Schnee darauf, jetzt endlich, im Februar.
Ich saß eine ganze Weile da und starrte den Brief an, fühlte nach, wie dick und wie schwer er war, bis es in der Küche viel zu kalt wurde, weil der Küchenofen mangels Holz ausging. Als ich endlich aufschaute, wurde es draußen schon dunkel. Es war schon tiefer Nachmittag, ein typischer Nachmittag im Februar, an dem die erste Dämmerung bereits gegen vier beginnt.
Schließlich ging ich doch noch hinaus, holte Holz und brachte den Ofen wieder in Gang.
Diesen Brief benutzte ich als Fidibus.
(Das gelbe Buch I:8)
2
Eine Ehe
...zu diesem Thema fällt mir übrigens die recht merkwürdige Geschichte einer Begegnung ein. Es gibt in dieser Gegend eine jüngere Dame, fast noch ein Mädchen, die sehr gut aussieht und eine attraktive Figur hat. Ich hatte sie immer nur aus einem Abstand von mindestens fünfzig Metern gesehen und fand sie ganz schön. Sie hatte eine auffallend frische Gesichtsfarbe, ihre großen Augen waren sehr dunkel, ihr Hals lang und weiß. Ich hatte schon lange eine sehr zärtliche, verlockende Vorstellung, mich in sie zu verlieben; aber ich sah sie nirgendwo anders als bei den Orgelkonzerten in der Kirche von Väster Våla. In den Jahren nach meiner Scheidung verkehrte ich außerhalb meiner Arbeit nur mit sehr wenigen Menschen.
Dann wollte ich doch endlich einmal sehen, ob es stimmte, was ich mir über sie einbildete, und fand eine gute Gelegenheit dazu. Bei einem Konzert des Köping-Quartetts ging ich in der Pause in der Vorhalle der Kirche zu ihr und begrüßte sie.
Ich hatte keinen anderen Plan, keine andere Absicht, als einfach nur zu hören, was sie sagen würde. Ich sprach sie also auf eine neutrale, höfliche Art an, aber
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