Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)
in dem Moment, als ich den Mund aufmachen wollte, um mich ihr vorzustellen, und sie dabei zum erstenmal richtig ansah, hätte ich am liebsten geschwiegen.
Ich sah eine Menge von scheußlichen kleinen Pickeln oder Pusteln in ihrem Gesicht, als hätte sie eine eigentümliche Hautkrankheit, und das ließ mich sofort meine Absichten ändern. Trotzdem setzte ich das Gespräch fort, und sie antwortete im Plauderton, auf eine sehr nette und höfliche Art. Um die Wahrheit zu sagen: Es ist nicht auszuschließen, daß ich ihre Bekanntschaft zufällig gerade an einem dieser lästigen und unpassenden Tage machte, an denen der Sex sich von selbst verbietet; sie gilt in dieser Gegend wirklich als eine Schönheit.
Trotzdem fühlte ich mich nach dieser Begegnung irgendwie erleichtert. Ich wurde dadurch von etwas befreit, das nach dem nicht ganz angenehmen Beginn einer Beunruhigung aussah. Und das vielleicht etwas mit der schlechten Gewohnheit zu tun hatte, mich an alle möglichen Objekte zu fixieren, die meine unruhige Aufmerksamkeit fesseln.
...
Aber man muß sich natürlich fragen: Wenn wir jemanden lieben, oder besser gesagt uns in jemanden verlieben, in was verlieben wir uns dann eigentlich?
Lieben wir unsere Vorstellung von einem Menschen oder den Menschen selbst?
Vielleicht können wir nur mit unseren eigenen Vorstellungen in Beziehung treten? Vielleicht sind wir immer nur in unsere eigenen Vorstellungen verliebt?
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Liebe und geographische Entfernung. Wenn ein Mensch, den man liebt, mit dem Zug wegfährt, empfindet man manchmal ganz deutlich eine Art von Erleichterung. Man entrinnt der Wirklichkeit und kann ruhig wieder dazu übergehen, mit einer Vorstellung zu leben.
Was ist die maximale Entfernung, aus der man einen Menschen lieben kann? Ein Mädchen, das ich in meiner Schulzeit innig liebte, sie hieß Monica, wanderte nach Kalifornien aus. Wir haben uns viele Jahre lang Briefe geschrieben, aber dann schlief das Ganze natürlich ein.
Existierte sie damals (für mich)? Oder war es schon längst nur noch eine Vorstellung, mit der ich in Beziehung stand?
Was ist die maximale Entfernung, aus der man einen Menschen lieben kann? 1000 Kilometer? 25 Kilometer? Es ist ein alter Wunschtraum von mir, eine Geliebte in Skultuna zu haben. Das ist eine ganz wunderbare Entfernung, man fährt genau eine halbe Stunde dorthin. Im Sommer vielleicht ein bißchen schneller, wenn es glatt ist, dafür ein bißchen langsamer.
Was ist die maximale Entfernung, aus der man einen Menschen lieben kann?
Antwort: Weniger als ein Millimeter. Und namenlos.
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Als die Scheidung schließlich beschlossen war und Margareth schon allmählich überlegte, wie sie sich eine Wohnung in Västerås beschaffen sollte, geschah etwas Merkwürdiges. Wir gingen in der Wohnung herum, schauten uns verschiedene Sachen an und überlegten, welche Bücher ihr gehörten, welche mir, wo sie dies und jenes gekauft hatte, ob sie diesen alten Aktenschrank mitnehmen sollte oder nicht.
Wir bekamen beide eine richtig gute Laune, waren fast ausgelassen. Wir alberten herum und redeten miteinander, wie wir es seit über zwei Jahren nicht mehr getan hatten, wir waren beide irgendwie erleichtert und erstaunt darüber, wie wirklich sich der eine für den anderen ausnahm.
Wir brauchten nicht mehr mit Vorstellungen zu leben.
(Das blaue Buch I:1)
...Februar 1968 oder 1969, ich war – ich weiß bis heute nicht warum – zum stellvertretenden Vorsitzenden des Verbands Schwedischer Feldbiologen gewählt worden. Wir hatten unsere Jahresversammlung im Medborgarhuset in der Stockholmer Südstadt abgehalten, und als ich in den Februarabend hinauskam, es muß gegen sechs gewesen sein, war es schon ganz dunkel. Ich wohnte im Hotel Malmen auf der gegenüberliegenden Straßenseite, aber da ich nicht recht wußte, was ich machen sollte, entschloß ich mich zu einem Spaziergang, obwohl es zehn Grad unter Null war.
Ich ging die Folkungagatan hinunter; kaum ein Mensch war unterwegs, obwohl Sonntag abend war, der Neumond stand am Himmel, eine dünne Schneeschicht lag sogar auf den Fahrspuren.
Ich ging bis zum Hafen hinunter und dann die Stigbergsgatan hinauf, auf dem Weg zur Sista Styfverns Trappa, durch gleichsam vergessene Viertel, die sich seit August Strindbergs Tagen nicht im geringsten verändert haben, eine eigentümliche, kalte Stadt hoch oben in Skandinavien, rote Holzhäuschen am Berghang, Holztreppen, Häuser mit einem Teerduft, Namen, die an die
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