Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)
Uppsala, besonders die Mittwochspartys des Studentenverbands Västmanland-Dalarna waren phantastisch; ein irrsinniges Gedränge, ein Duft von billigem Parfum, die Mädchen auf der einen Seite des Tanzsaals und die Jungens auf der anderen. Es war ein Wunder, daß die Hitze nicht den Lack auf den Porträts der alten Ehrenvorsitzenden zum Schmelzen brachte.
Man brauchte eigentlich nur zuzugreifen. Auf eine sonderbar unpersönliche Weise.
Mich interessierten jedoch die etwas schüchternen, etwas zugeknöpften Mädchen am meisten; diejenigen, die auf die eine oder andere Weise verändert werden konnten.
Die Mädchen, die ein wenig zitterten, wenn man mit ihnen tanzte. Die ihren Körper irgendwie ein bißchen verkrampften.
Ich glaube, ich habe das alles sehr mechanisch aufgefaßt; ich meine: Ich setzte einen Prozeß in Bewegung, und dieser Prozeß diente ausschließlich dazu, mir etwas über mich selbst zu beweisen.
(»Mich selbst« – »ich selbst«: Inzwischen finde ich, daß dieser sprachliche Ausdruck irgendwie blödsinnig ist. Ihm fehlt einfach jeder Sinn.
Ich kann aber nicht genau erklären, wie ich das meine.)
Damals hatte ich schrecklich wenig Geld. Der Geldwert war zwar besser als heute, aber dafür mußte man mit den Studiendarlehen, die man bekam, auch viel länger auskommen, und wenn man sein Pensum nicht schaffte, war man wirklich schlecht dran.
Am Anfang waren wir zu dritt, Bertil, Lennart und ich, wir hatten uns zwei große Zimmer im Svartbäcken-Viertel gemietet. Aber schon nach einem Semester begannen Bertil und Lennart sich zurückzuziehen.
Sie gingen ja zur Universität und fanden allmählich ihren eigenen Freundeskreis. Aber das war wohl nicht der einzige Grund. Da beide fleißig waren – Bertil starb einige Jahre darauf, aber das ist eine andere Geschichte –, da beide fleißig und ehrgeizig waren, hatten sie das Gefühl, ich würde sie ein bißchen zu oft in die Kneipen locken, und das konnte sich eigentlich keiner von uns leisten.
Ich weiß noch, daß wir bis tief in den November hinein ohne Mäntel in die Lokale gingen, um die paar Kronen zu sparen, die man dort gewöhnlich dem Garderobier zahlen mußte.
Bekannte, die mich etwa fünfzehn Jahre später wiedersahen, pflegten mir immer zu sagen, ich hätte mich sehr verändert, ich sei enorm viel ruhiger geworden.
Ich habe nie so recht verstehen können, was sie damit meinten. Ich selbst hatte nie das Gefühl einer Veränderung.
Aber offenbar galt ich damals für ziemlich unsolide und ein bißchen draufgängerisch. Ich glaube sogar, daß es verschiedene Leute gab, die tolle Geschichten über mich erfanden.
Woran ich mich am besten erinnere, ist das ewige Problem mit dem Geld, das ganze Elend mit der Borgerei hier und da; Schulden, die man zurückzahlen mußte, und Schulden, auf die man möglicherweise pfeifen konnte, und dieses unangenehm Abweisende, was Leute kriegten, von denen man ein bißchen zu oft Geld geborgt hatte, ohne es zurückzuzahlen.
Gegen Ende, im letzten Jahr, war es am schlimmsten. Es war ein chaotisches Jahr. Es ist mir bis heute ein Rätsel, daß ich das Abschlußexamen so gut gemacht habe, wie ich es tat.
Ich war damals eine Weile mit einem Mädchen namens Kerstin befreundet. Es muß im Frühjahr 1958 gewesen sein. Ich glaube heute noch, daß sie mich wirklich sehr gern hatte, mich beinahe liebte, oder zumindest gab es irgendwas an mir, was sie fasziniert haben muß. Aber zugleich glaube ich, daß ich noch nie einen Menschen gekannt habe, der so offensichtlich Angst vor mir hatte.
Angst wovor? Weiß der Himmel!
Ich habe sehr viel später darüber nachgedacht und habe mir alle möglichen subtilen Erklärungen zurechtgelegt, ich habe ihre Briefe gelesen und ihre jungmädchenhaft feinsinnigen Analysen meines Seelenlebens gesehen (Egoist, Egozentriker, unfähig, eine Beziehung zu einem anderen Menschen einzugehen, etc.), aber schließlich bin ich zu einem ganz anderen Schluß gekommen: Die Gründe müssen sozialer Art gewesen sein.
Sie stammte aus einer recht netten Arztfamilie in Lidingö, keine von den ganz erfolgreichen, aber immerhin, ein sehr »kultiviertes« Elternhaus, und studierte mit dem Ziel, Magister der Philosophie in Literaturgeschichte und nordischen Sprachen zu werden.
Es war ganz klar, daß ich ihr keine besondere Zukunft bieten konnte.
Sie fand mich anziehend, aber sozial gesehen war ich ein ziemlich zweifelhafter Typ.
Ich glaube, die anderen hielten mich für heruntergekommener, als
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