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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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der dir sagt, daß nichts besser werden wird und daß du dich trotzdem getröstet fühlen mußt – dann kommt mir diese Gegend wieder in den Sinn.
    Und alles ist ein einziges Geräusch von fließendem Wasser, fast überall. Von den schwarzen Strudeln der Schleuse bei Färmansbo bis hinunter zu den sonderbar wehmütigen, vogelreichen Sumpfgebieten am See Norra Nadden.
    Der Fischschwarm, der ganz still im seichten Wasser steht und blitzschnell verschwindet, wenn ein Schatten darüberfällt.
    In dem Flüßchen Kolbäcksån irgendwo zwischen den Seen wären mein Vater und ich einmal fast ertrunken, als wir versuchten, an einem Tag tief im November 1943 hinüberzurudern, um bei einem Bauern Butter zu kaufen. Es war ein alter, brauner Kahn von der Art, wie die Bauern ihn benutzen – aber nur südlich vom See Åmänningen, wo der Boden von den dort wachsenden Algen spiegelglatt ist, woanders sind sie spitzer – in einem solchen Kahn kann man sich den Hals brechen, wenn man sich beim Herumlaufen nicht in acht nimmt, und obendrein leckt er wie der Teufel. Der Kahn, den wir uns geliehen hatten, leckte ganz fürchterlich, viel stärker, als wir erwartet hatten, und wir mußten uns immerzu beim Ausschöpfen ablösen, wie die Verrückten, mit schmerzenden Armen, bevor wir im letzten Moment in einer Schlammbank am anderen Ufer landeten. Das Wasser war eiskalt, und meine Hände waren ganz blau.
    Dieses Ausschöpfen erschien mir, wie ich jetzt meine, als ein Bild des Lebens, so klein ich auch war.
    Der Schwarzmarkthandel spielte in meinem Leben als kleiner Junge eine enorme Rolle. Ich hatte den Eindruck, wir seien ständig auf nächtlichen Expeditionen unterwegs, um Butter ohne Essensmarken zu kaufen oder um zerstückelte Teile eines Elchs zu erwerben.
     
    Seit drei Tagen fließt der Schmerz schwächer. Es ist, als habe er irgendeinen entsetzlichen Wasserfall durchquert und wir seien jetzt wieder im Stauwasser angelangt, in den schwarzen, trägen Strudeln auf der anderen Seite. Gestern bin ich wieder ein bißchen spazierengegangen. Ich habe es nicht gewagt, Auto zu fahren, dazu fühle ich mich ein bißchen zu schwach, aber da Sundblad über die Februarferien hier ist und weiß, daß es mir nicht besonders gut geht, habe ich jeden Tag beim Kaufmann Besorgungen gemacht bekommen. Ich frage mich nur, wie es gehen wird, wenn die Sundblads wieder weg sind. Wahrscheinlich komme ich wieder auf die Beine. Zutiefst habe ich das Gefühl, eine Art Krise überstanden zu haben: Ich fühle mich jetzt eigentlich nur noch zerschlagen. Ich rede mir ein, ob zu Recht oder Unrecht, daß es etwas wie ein Geschwür ist, das aufbrechen mußte und aufgebrochen ist, und jetzt, da es aufgebrochen ist, muß ich automatisch auf den Weg der Besserung kommen. Ich hoffe, das stimmt.
    Jedenfalls muß es mich viel Kraft gekostet haben. Das, was letzte Woche geschah. Was immer es gewesen ist. Den ganzen Morgen lang habe ich überlegt, ob ich die Leiter zum Dachboden aufstellen soll, um ein paar Rahmen für die Bienenstöcke herunterzuholen, die abgeschmirgelt und neu lackiert werden müssen. Dann hätte ich etwas Sinnvolles zu tun gehabt; dieses Schreiben macht mich nur noch deprimierter. Aber nachdem ich den halben Morgen lang überlegt hatte, bin ich zu dem Schluß gekommen, daß ich es ganz einfach nicht schaffen würde.
    Vielleicht morgen.
     
    Die Wolken zogen immer niedrig über dieses Sumpfland hin und spiegelten sich im Wasser, in den Kanälen.
    Zuweilen hatte ich in diesen Sommern – besonders in den Sommern der vierziger Jahre – das Gefühl, unter einem Dach zu gehen. Als sei ich in irgendeine komplizierte Falle geraten.
    Damals in den vierziger Jahren gab es noch diese Bauernküchen mit den riesigen, weißgekalkten Herden. An jedem Feiertag wurden sie mit einer neuen Kalkschicht übertüncht, sie müssen mit den Jahren durch all diese Kalkablagerungen gewachsen sein.
    So ein riesiger, weißgekachelter, warmer Herd muß es gewesen sein, an dem mein Vater und ich damals unser Abenteuer beendeten. Ich erinnere mich noch an den Geschmack des dünnen, wie angebrannt schmeckenden Kaffees, den wir damals gewöhnlich tranken.
    Auf der Kuppe eines jener hohen Hügel an der Westseite des Sees Åmänningen, wo damals eine alte, steile, geschotterte Straße von Fagersta nach Virsbo führte, hatte mein Onkel Sune einen Kaufladen.
    Ein grünes Haus mit einer Tanksäule davor, einer großen, roten Tanksäule von dieser wirklich faszinierenden Art mit einer

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