Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)
Glasglocke obendrauf, in der man sah, wie das gelbe Benzin eine Schraube antrieb. In den vierziger Jahren war natürlich kein Benzin in der Säule, aber flott war sie trotzdem. Im Obergeschoß wohnte der Onkel zusammen mit seiner unglaublich fetten Frau Ruth, die man nie draußen sah; ich glaube, sie hatte sogar Schwierigkeiten, die Treppe zum Laden hinunterzukommen, wo sie mit einer riesigen, etwas blutbefleckten Metzgerschürze vor dem runden Bauch präsidierte.
Der Laden war innen ganz braun, braune Wände, braune Theke, aus der braunen Theke kam eine braune Schnur aus einem Loch hervor, das jemand mit einem Stemmeisen herausgebrochen haben mußte. Das war lange vor der Zeit der Plastiktüten. Eine Fleischtheke aus Glas, wo einige grünliche Leberscheiben in einer undefinierbaren, organischen Brühe herumschwammen. Hinten ein kleines Zimmer, in dem Onkel Sune halbe Nächte lang Lebensmittelmarken zählte, die Brille mit der Stahlfassung in die Stirn geschoben, auf dem Hof ein Schuppen mit Petroleum, Eisenwaren, einigen der streng rationierten Fahrradreifen und anderen Kleinigkeiten.
Er rauchte immer kleine braune Zigarillos, und da er einen Schnauzbart von einem ähnlichen Modell wie Nietzsche oder Stalin hatte, war man immer etwas besorgt, daß dieser Schnurrbart Feuer fangen würde, wenn der Zigarillostummel langsam wie eine altmodische Zündschnur darin verglimmte.
Er hatte vielleicht noch andere Ähnlichkeiten mit Nietzsche. Er war Individualist. Er ließ sich nicht beeindrucken. Bei den Gesprächen über das Kriegsgeschehen, die sich vor seiner Theke abspielten, während er mit dem Zigarillostummel im Mundwinkel hin- und herrannte, hinter jedes Ohr einen Bleistift geklemmt, und eine Schere für die Lebensmittelmarken mit einer Schnur am Gürtel befestigt, immer in Eile, pflegte er den Stummel nur für einen Augenblick aus dem Mund zu nehmen und zu zischen:
– Ist doch alles nur die gleiche Scheiße!
»Ist doch alles nur die gleiche Scheiße« war für ihn fast so etwas wie ein Motto, ein Kommentar, dessen er sich in allen etwas dramatischeren Momenten bediente.
Er hatte einen Lastwagen, einen Volvo, mit einem angeschlossenen Holzvergaser in einem der Schuppen auf dem Hof hinter diesem Haus an der Schotterstraße. Manchmal lief der Wagen, manchmal nicht. Es brauchte Stunden, um das Holz für den Vergaser zurechtzusägen, kleine Klötze von einer speziellen Form, die man aus runden, mit der Schrotsäge vorbereiteten Stücken hackte. Es war höllisch mühsam, das Feuer im Kessel zu entfachen, es war die reinste Geduldsprobe, bis das Gas vorschriftsmäßig in die verschiedenen Kanäle und Hohlräume des sonderbaren hohen Topfes hinter dem Fahrerhäuschen strömte. Manchmal begann es richtig darin zu brennen, und dann mußte man sofort am nächsten Seeufer halten – es gab gottlob viele – und Wasser über die ganze Anlage schütten. Und die Zylinder waren immer mit dunkelbraunem Teer verklebt und verschmiert.
Aber er brauchte den Wagen unbedingt, um Mehl und Zucker und Milchkannen herbeizuschaffen, und sonderbare Dinge aus Västerås und Kolbäck, die nur nachts in aller Stille transportiert wurden.
Onkel Sune befaßte sich mit vielerlei Dingen. Das tat er übrigens noch bis weit in die sechziger Jahre hinein, aber da war er natürlich schon längst ins Baugewerbe übergewechselt und gehörte zu denen, die sich staatliche Darlehen für Mietshäuser beschafften. Diese wurden dann auf ganzen Feldern in Hallstahammar und Virsbo aus dem Boden gestampft und zu schwindelnden Preisen an finnische Industriearbeiter vermietet; sie schossen in jener Gegend wie die Pilze aus dem feuchten västmanländischen Lehm. Aber das ist auch eine ganz andere Geschichte. Da war er schon nach Västerås in eine Achtzehn-Zimmer-Villa mit Swimmingpool und Kupferdach gezogen und nannte sich Baumeister.
Aber jetzt war es also in den vierziger Jahren.
Im Sommer 1940 trieb Sune drei große Fässer mit erstklassigem Benzin auf. Er bekam sie ausgerechnet aus Norwegen, ich weiß nicht genau wie das möglich war, aber wahrscheinlich hat er sie für etwas anderes eingetauscht.
Der Motor des Lastwagens war zu kaputtgefahren, als daß es sich gelohnt hätte, ihn wieder auf Benzinbetrieb umzustellen, aber er hatte ja noch seinen alten Plymouth, ein Vorkriegsmodell, der zwei ganze Jahre lang im Schuppen eines benachbarten Bauernhofes aufgebockt gewesen war.
Er schleppte ihn mit zwei Pferden nach Hause und verbrachte einen Samstag und
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