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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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verloren haben, sagte Sune.
    Aber wie sind wir dann um Himmels willen hergekommen? fragte der Direktor der Straßenverwaltung.
    – Das ist doch ganz einfach, sagte der Sekretär der Provinzialregierung mit dem ganzen Nachdruck und dem überlegenen Wissen des höheren Beamten. Es gab doch so enorme Hänge .
    – Aber die sind wir doch hinaufgefahren, sagte der Direktor der Straßenverwaltung matt. Wir sind doch verdammt noch mal die ganze Zeit bergauf gefahren.
    – Tja, ist doch alles nur die gleiche Scheiße, sagte Onkel Sune nicht ohne eine gewisse Nachdenklichkeit.
    (Das gelbe Buch III:30)

 
     
     
    Alles nur die gleiche Scheiße. Während man in die Volksschule, ins Gymnasium, ins Lehrerseminar ging, wurde man Schritt für Schritt in eine feinere Sprache eingeschleust. Und in eine abstraktere. Man war ja nur allzu willig, sie zu lernen. Im Gymnasium konnte man den Unterschied zwischen Kindern aus der Unterschicht und Kindern aus der Mittelschicht feststellen. Die Kinder, deren Eltern zur Unterschicht gehörten, hatten eine härtere, illusionslosere Sprache. Die gleiche Erfahrung machte ich, als ich selbst Lehrer wurde.
    Eine Froschperspektive, in der alle Motive für alle Handlungen hart, egoistisch, zynisch wurden.
    Die Sprache der Mittelschicht: die unsicherste von allen. Sie geht von dem Grundsatz aus, um eine höhere Stufe in der gesellschaftlichen Hierarchie zu erreichen, müsse man so auftreten, als sei man schon dort angelangt. Das schafft eine eigentümliche Unsicherheit im gesamten System. Man weiß, was die Worte bedeuten, und weiß es doch nicht.
    Seit einigen Monaten habe ich zum Beispiel »Scheißangst«. In einer anderen Sprache würde das heißen, daß ich Todesangst habe. Todesangst gibt der Sache eine ganz andere Dimension, als liege eine höhere Einsicht darin, wenn man »Todesangst« statt »Scheißangst« sagt.
    Ich kann nicht sehen, daß es diese höhere Dimension gibt.
    Nichts hat mir so klar wie die Erfahrung der letzten Monate gezeigt, daß die Gesellschaft ein Unterbewußtsein hat. Das mag daran liegen, daß die Angst mich von all den Sprachen befreit, die man mir einmal beigebracht hat, um mich dagegen zu wehren. Ich beginne mit der schrecklichen Klarheit des Knabenalters zu sehen, mit seiner angstvollen Klarheit.
    Das Unterbewußtsein der Gesellschaft. Die Versuchstiere, die in den Laboratorien langsam zu Tode gequält werden, Schläuche in Halsvenen und Magen eingeführt, Krebszellen, die lebendigen Hunden mit langen, schmalen Kanülen in die Leber gepflanzt werden. Die Aufenthaltsräume der Nervenkliniken, die mageren, zitternden Alkoholiker an der großen Brücke in Västerås.
    Fortwährend wird ein entsetzlicher Preis bezahlt. Aber an wen? Und wofür? Was ist bisher für meine Existenz bezahlt worden?
    ...
    Jetzt ist schon so viel Schnee weggeschmolzen, daß die nassen Steine und das vermoderte Laub des Vorjahrs überall sichtbar werden.
    Das Paradies habe ich mir immer trocken und heiß vorgestellt, auf keinen Fall feucht.
    Im Paradies gibt es keine Lügen.
    (Das blaue Buch III:5)

 
     
     
    Vier vollkommen schmerzfreie Tage. Uffe und Jonny waren gestern wieder hier. Ich habe ihnen meine Horrorgeschichte vorgelesen. Sie waren nicht so beeindruckt, wie ich es mir vorgestellt hatte. Sie meinten, es sei ein guter Anfang, aber es müsse noch eine Menge Action hinein. Wir diskutierten über verschiedene Fortsetzungen. Werden die Helden aus eigener Kraft zu diesem Turm kommen und die schmerzerzeugende Überschallorgel zerstören, oder brauchen sie irgendwelche Hilfe von außen?
    Sollen sie versuchen, den Turm zu umzingeln? Soll ein einziger Mann sich opfern, um die Aufmerksamkeit abzulenken? Kann man diesen schmerzerregenden Tönen dadurch entgehen, daß man sich Wachs in die Ohren stopft?
    Uffe hat einen Verband um die ganze Stirn. Er hat einen Eishockeypuck auf die eine Augenbraue gekriegt.
    Sie hatten Brenngläser dabei, saßen lange auf meiner Treppe und versuchten, Schnürsenkel damit anzuzünden. Aber die Frühlingssonne ist noch viel zu schwach.
    Sie unterhalten und zerstreuen mich sehr, diese Bürschchen. Sie sind irgendwie so selbstverständlich.
    (Das gelbe Buch III:31)

 
     
     
    Gerade geschieht etwas, wovon ich kaum zu sprechen wage, aus Angst, das Sprechen selbst würde es wieder unwahr machen.
    Die Schmerzen sind seit zwölf Tagen verschwunden. Ich fühle mich oft etwas matt, etwas schwindlig, aber das kann genausogut einfach die normale Frühjahrsmüdigkeit sein.

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