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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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Rechtsverkehr, bei der sich herausstellte, daß alle Leute den Linksverkehr behalten wollten.
    Wie waren die Mädchen in den fünfziger Jahren angezogen? Trugen sie nicht Baumwollkleider, die weit über die Waden reichten, und breite Gürtel dazu? Redeten sie nicht irgendwie anders? Ich erinnere mich nicht mehr genau.
    Als kleine Buben, ja sogar noch als Gymnasiasten saßen wir im Sommer oft an der Schleuse von Färmansbo und angelten. Der träge, zähe, nein, nicht zähe, sondern melancholische Kolbäcksfluß bildet dort einen kleinen Wasserfall. An dieser Stelle gibt es ein Inselchen mit den Überbleibseln eines alten Hüttenwerks. Früher wuchsen dort massenhaft Morcheln.
    Am südlichen Ende der Insel liegt die Schleuse von Färmansbo. Zu ihr führt ein Pfad, der von so hohen Bäumen beschattet ist, daß sich alles in einen grünen Tunnel verwandelt. Uralte Algen bewegen sich an der steinernen Einfassung des Kanals.
    An der Schleuse selbst ist das Wasser tief, kohlschwarz – der Kolbäcksfluß trägt nicht von ungefähr diesen Namen – , und bei Hochwasser bildet es schwarze Strudel, von denen wir als Buben immer fasziniert waren.
    Schon im Mai verbrachten wir ganze Nachmittage dort, zu dieser Zeit waren die Hechte sehr aktiv. Einige von uns wohnten in Sommerhäuschen, die ihre Eltern in dieser Gegend hatten, andere waren die Kinder der eigentlichen Einwohner.
    Hin und wieder kam es natürlich vor, daß wir einen Fisch an die Angel bekamen, dramatische Episoden mit Riesenhechten, die den goldglänzenden Blinker abrissen und mit dem ganzen Ding im Maul verschwanden, große Hechte, die sich noch im Gras wie Schlangen wanden, und manchmal fiel auch einer von uns in das schwarze, stets kalte Wasser, wenn er auf einem nassen Stein ausgerutscht war.
    Aber ich glaube nicht, daß das Angeln die wichtigste Sache an dieser Schleuse war.
    Das schwarze, dahinfließende Wasser war mit der schwarzen Dunkelheit in unseren eigenen Pupillen verwandt.
    Wir saßen dort, sahen darauf hinunter und beredeten sonderbare Dinge miteinander.
    Die Fahrräder lagen in einem Haufen hinter irgendeinem Gebüsch, es war immer schwierig, am Schleusenwärterhaus vorbeizukommen, denn der Schleusenwärter, ein älterer Mann, hatte nicht viel Verständnis dafür, daß eine Schar von kleinen Buben zur unteren Schleuse lief. Er befürchtete immer, daß sie an den Schleusenluken herumfummeln und den Wasserstand verändern würden, was für ihn nicht besonders angenehm war, da es einen Fußmarsch von einem halben Kilometer bedeutete, wenn eine der Schleusenluken offenstand, die eigentlich geschlossen sein sollte.
    (Übrigens spielten die Fahrräder damals eine enorme Rolle für uns; sie waren so etwas wie Haustiere.)
    Nicke war ein sehr lustiger Junge. Er hatte etwas von einem Eichhörnchen. Er war stets hellwach. Ich hatte den Eindruck, daß er einfach mehr sah als die anderen. Daß er besser hörte als die anderen. Er war es auch, der entdeckte, daß man bei Sonnenuntergang die Otter an der Uferböschung hören konnte. Ein ungeheuer schwacher Laut, den niemand von uns bemerkt hatte, obwohl er immer schon dagewesen war.
    Ein kleiner magerer, braungebrannter, ungeheuer drahtiger Junge, der die höchsten Kiefern erkletterte, indem er einfach die Knie gegen die Rinde stemmte und sich hinaufhangelte. Ich glaube nicht, daß er wußte, was Schwindelgefühl heißt. Einmal verschluckte er einen lebendigen kleinen Weißfisch, nur um zu beweisen, daß man das machen konnte.
    Er legte großen Wert darauf zu beweisen, daß es Dinge gab, die man machen konnte, obwohl niemand es für möglich gehalten hätte. Hätte er im fünfzehnten Jahrhundert gelebt und wäre nicht von einem Lastwagen überfahren worden, dann hätte er bestimmt mit der Zeit einen neuen Kontinent entdeckt.
    Er war das, was ich als einen gewitterfühligen Menschen bezeichne. Er wußte schon Stunden im voraus, wenn noch kein einziges Wölkchen am Himmel zu sehen war, daß ein Gewitter im Anzug war. Gewitter machten ihn nicht unruhig, nicht müde wie andere Leute. Ich habe das Gefühl, daß sie ihn ganz einfach aufpulverten, ihn fast in Ekstase versetzten.
    Wenn der Hagel auf das Schleusenbecken hinunterpeitschte, bis die Strudel des schwarzen Wassers in einer Schaumwolke verschwanden, unsere Angelruten und die Dosen mit den Würmern verlassen dalagen und wir selbst atemlos in einer verlassenen Schmiede zwischen altem Schrott, Kreuzottern und Brennesseln kauerten, konnte man ihn draußen im

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