Rita und die Zaertlichkeit der Planierraupe
Das primäre Ziel eines Konkursverfahrens muss immer die Rettung des Unternehmens und der Erhalt der A rbeitsplätze sein, im Rahmen des Möglichen, versteht sich.«
»Selbstverständlich, Herr Lipka.«
Karl Zwerger warf die angerauchte Zigarette auf den Boden und trat die Glut mit dem Fuß aus. Rita ging an den beiden vorbei nach draußen.
Auf dem Gelände herrschte eine seltsame Stille. Rita war noch nie hier gewesen, wenn nicht gearbeitet wurde. Für einen Moment fragte sie sich, ob es richtig war, dies alles aufzugeben, auch wenn es nur Kies war. Schließlich hing die Existenz von vielen Menschen an diesem Betrieb, nicht nur die von Zwerger. Rita verstand, dass Karl aus dieser T retmühle herauswollte, aber vielleicht hätte er das ganze Gelände einfach verkaufen sollen, statt einen Konkurs zu inszenieren. A ber das war seine Entscheidung.
Als Rita hinter der Halle nach Frickers Raupe A usschau hielt, bemerkte sie, dass auf der Dieselsäule hinter der Fahrzeughalle etwas in der Sonne glitzerte. Rita ging hin: Es war der Pokal, den Fricker beim W ettplanieren gewonnen hatte. Sie fragte sich, warum er den hier abgestellt hatte. Und vor allem, wo er die Raupe gelassen hatte. Sie hörte ein Geräusch hinter sich und drehte sich um. A n der W and, bei dem Metallschrank, in dem das Motorenöl untergebracht war, saß Schorsch Beitinger, einer der A rbeiter der Kiesgrube, auf einer Holzbank. Er trug seine A rbeitskleidung.
»Was machen Sie denn hier, Herr Beitinger? Sie sollten sich bei der Jobagentur in Kempten melden.«
Schorsch schüttelte den Kopf.
»Ich hab meinem Mädle gesagt, ich bin beim Schaffen …«
»Herr Beitinger, das ist doch kindisch. So was spricht sich ganz schnell herum in Ratzisried. Irgendwann wird Ihre Frau das erfahren.«
Schorsch stierte vor sich auf den Boden, mit seiner Sandale scharrte er Muster in den Kies. Rita wusste nicht, was sie tun sollte, sie war ja nicht die Betriebspsychologin.
»Soll ich Sie nach Hause bringen, Herr Beitinger?«
Schorsch schüttelte den Kopf.
»Ich geh nachher noch ein bissle spazieren durch den W ald …«
»Aber Sie müssen es Ihrer Frau sagen. Ich könnte mich ja mal bei der Konkurrenz umhören, vielleicht brauchen die jemanden. Sie sind doch ein fähiger A rbeiter. W ir schreiben Ihnen ein gutes Zeugnis.«
»Das nützt auch nichts.«
»Jetzt sehen Sie das mal nicht so schwarz. W enn die neue Umgehungsstraße gebaut wird, braucht man auch Fachkräfte.«
»Das macht doch wieder der Bilfinger aus Stuttgart, und der hat seine eigenen Leute. Oder stellt Leiharbeiter ein.«
»Dann müssen Sie eben großräumiger suchen.«
»Wir haben doch Kinder … und das Häusle …«
Rita fiel nichts ein, was sie darauf sagen sollte. Sie setzte sich neben Schorsch auf die Holzbank und schwieg eine W eile lang mit ihm, wenn sie sonst schon nichts tun konnte für den armen Kerl.
»Eine Frage, Herr Beitinger: Wissen Sie, wo Ihr Kollege steckt, der Herr Fricker?«
Schorsch stierte wieder auf den Kies vor seinen Füßen.
»Ich glaub, da könnt’s vielleicht eventuell bissle so was wie ein Missverständnis gegeben haben …«
Rita bemerkte, dass sie noch nicht lange genug im A llgäu war, um alle Nuancen der manchmal doch etwas eigentümlichen sprachlichen A usdrucksweisen zu verstehen. W arum konnten die Leute auf eine klare Frage nicht einfach eine klare A ntwort geben?
»Was für ein Missverständnis, Herr Beitinger?«
Schorsch druckste herum, vergrub beide Hände unter seinen Oberschenkeln, als wollte er die Pfoten daran hindern, etwas zu verraten, was er mit W orten nicht so direkt sagen wollte.
»Ja eben wegen der Deutschen Meisterschaft.«
Rita hatte keine A hnung, wovon Schorsch Beitinger sprach.
»Was für eine Deutsche Meisterschaft?«
»Eben die Deutsche Meisterschaft im Präzisionsplanieren. Oben an der Ostsee …«
»Was es alles gibt …«
Rita hätte den Redefluss von Schorsch gerne ein wenig beschleunigt, aber sie wollte dem armen Kerl nicht noch mehr Druck machen als er ohnehin schon mit sich herumschleppte.
»Also, was ist da mit dieser Meisterschaft an der Ostsee?«
»Ja wir haben halt g’sagt, wir fahren da alle ’nauf mit dem T ieflader … weil da auch die Mädle so wild sein sollen, wegen dem Salz und dem W ind …«
»Wo?«
»Ja in Mecklenburg, auf so einem alten Flugplatz in Peenemünde, direkt an der Ostsee. Da machen die immer so T reffen von alten Baumaschinen. Und da oben ist eben auch die Meisterschaft
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