Rita und die Zaertlichkeit der Planierraupe
zog ein edles Notebook heraus, ein Sony V aio, das Zwerger kürzlich im Internet zum A ngebotspreis von 3229 Euro gesehen hatte. Lipka schaltete den Rechner ein und fing selbstverloren an, Dinge einzugeben, als seien Zwerger und Rita gar nicht im Raum. Sein Lächeln war offenbar für den Moment auf Eis gelegt. Karl zwinkerte Rita kurz zu und signalisierte ihr, dass er alles im Griff hatte.
Lipka schien dem Hier und Jetzt entschwunden zu sein, seine Finger flogen in beachtenswerter Geschwindigkeit über die T astatur. Rita ging hinüber zur Espressomaschine, Karl folgte ihr, um sich auch noch eine T asse Kaffee zu holen. A us dem A ugenwinkel beobachteten sie Lipka. Beiden war klar: Der Mann war ein selbstverliebter W ichtigtuer, möglicherweise nicht so harmlos, wie er sich gab. A ber bis jetzt lief alles zufriedenstellend. Männern wie Lipka musste man nur das Gefühl geben, er sei eine Instanz. Zwerger berührte Rita ganz leicht mit der Hand. Er wollte die ganze A bwicklung möglichst rasch über die Bühne bringen. Im Moment wäre er allerdings am liebsten schnell mal mit Rita rüber ins Büromateriallager gegangen und hätte ihr den blauen Rock samt der züchtigen Bluse vom Leib gerissen.
»Ihr Kaffee schmeckt übrigens hervorragend, Frau Zieschke.«
Lipka hatte sein Lächeln wiedergefunden und schickte den Laptop mit einer routinierten T astenkombination in den Standby-Modus.
»Das Beste wird sein, wir sehen uns das jetzt alles mal vor Ort en detail an.«
Zwerger fand den A usdruck »vor Ort« schon immer albern, sagte aber freilich nichts Derartiges. Lipka holte einen Bleistift und ein Clipboard aus seinem Samsonite, stand auf und knöpfte sich das Jackett zu. A ls Rita anfing, das Kaffeegeschirr abzuräumen, lächelte Lipka sie wieder an.
»Vielleicht kommen Sie auch mit, Frau Zieschke. Sie scheinen den Betrieb ja ganz gut zu kennen.«
»Wie Sie möchten.«
Karl warf Rita einen schnellen Blick zu: Warum Lipka auf ihre A nwesenheit W ert legte, war ihm nicht klar, aber ihm war es allemal recht, Rita um sich zu haben.
Vor Ort in der Fahrzeughalle bot sich ein erbärmliches Bild. Die Planierraupen, Radlader und Lastwagen waren dreckverschmiert, die Frontscheibe des A tlas- AR 41-Radladers war eingeschlagen, der Zwölf-Tonner MAN -Kipper hatte keine Luft in den beiden hinteren Zwillingsreifen. Überall lagen Fahrzeugteile herum, Putzwolle, leere Öldosen, die Bierbänke vom Kiesgrubenfest hatte jemand achtlos in einer Ecke auf einen Haufen geschmissen: Es sah aus wie ein Saustall voll mit Schrott. Rita verkniff sich ein Schmunzeln, als sie Karl mit hängenden Schultern durch seinen inszenierten W ertstoffpark schleichen sah. Lipka stand noch draußen vor der Halle, er hatte einen A nruf bekommen und balancierte angestrengt mit Handy, Laptop, Clipboard und Stiften herum. Offenbar hatte er noch kein advanced training der IHK Kempten in business-equipment-handling absolviert.
Rita flüsterte zu Karl im Schatten des A tlas-Radladers:
»Wann hast du das gemacht?«
»Heute Nacht, nachdem du weg warst.«
»Du bist schon ein Hund, wie man hier sagen würde …«
»Rita, das wird alles so herrlich … weg mit dem Schrott und dann nichts wie los!«
Kaum merklich deutete Rita mit dem Kopf zum Hallentor: Leicht wie eine Feder kam Lipka in die Halle und sah sich um.
Karl ging ihm entgegen und zeigte wortlos auf den Maschinenpark. Lipka nickte verständnisvoll.
»Wie Sie sagten, Herr Zwerger. A lles knapp über dem Schrottwert.«
Karl schwieg betreten und stand wie ein begossener Pudel neben dem Konkursverwalter.
Rita sah sich in der Halle um. Sie hatte Sorge, dass Zwerger in seinem Eifer die V erzweiflung des gescheiterten Unternehmers vielleicht ein wenig übertrieb. Ihr war auch nicht ganz klar, warum Lipka sie in der Halle dabeihaben wollte.
Doch dann fiel ihr etwas auf. Sie überlegte kurz und winkte Karl zu sich heran.
»Karl, da fehlt eine.«
»Was?«
»Da fehlt die Raupe von diesem Fricker, die alte Fiat-Allis. Das merkt der bestimmt.«
»Ach was. Die wird irgendwo draußen auf dem Gelände rumstehen, sieh dich doch mal um, bitte. Ich beschäftige den Lipka so lange.«
Karl steckte sich eine Zigarette an und ging wieder zu Lipka.
»In der Halle würde ich jedoch vom Rauchen abraten, Herr Zwerger. Nicht, dass wir die vorhandenen Sachwerte durch einen allfälligen Brand noch weiter dezimieren, ha-ha …«
»Das wär grad’ auch noch wurscht.«
»Ich bitte Sie, Herr Zwerger. Sie wissen doch:
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