Rita und die Zaertlichkeit der Planierraupe
ank, verstaute ihn mitsamt dem leeren Kanister und setzte sich ans Steuer. Der Motor stotterte und spotzte noch kurz, dann lief die Maschine wieder rund. Ewald wusste, dass er Glück gehabt hatte. W enn der T ank völlig leer gewesen wäre, hätte er die ganze Dieselanlage entlüften müssen, und das wäre wirklich blöd gewesen, mitten auf der Brücke. Dann wären tatsächlich ein paar T ropfen von seinem Diesel in Budapest gelandet.
Ewald winkte dem Lehrer noch einmal zu und fuhr weiter. Er sah natürlich nicht, dass sich hinter ihm mittlerweile ein kilometerlanger Stau gebildet hatte, quer durch Ulm hindurch. Eigentlich bemerkte kaum jemand auf der A denauer-Brücke, dass die merkwürdige Raupe längst verschwunden war, denn der Streit ging weiter und blühte geradezu auf. A lle hatten auf dem bärtigen Lehrer herumgehackt, es war um Umweltschutz, V erkehrsstau, Nachhaltigkeit, A tomkraftwerke und kleinkariertes Denken gegangen. A ls aber der Lehrer auf den A briss des Stuttgarter Hauptbahnhofs gekommen war, kippte die Stimmung schlagartig. Plötzlich waren sich alle einig: Die neue unterirdische Betonhölle wollte niemand haben, und wer schon einmal im Berliner Bahnhof Südkreuz sich auch nur ein paar Minuten aufzuhalten das Pech gehabt hatte, konnte in etwa erahnen, zu welchen baulichen Hässlichkeiten Bahnplaner fähig waren. Plötzlich hatte der Lehrer Recht, auf einmal stand sogar die Idee im Raum, in einem A utokorso spontan nach Stuttgart zu fahren und den Bahndeppen zu zeigen, was man von ihrem Neubau und dem A briss des geliebten Bahnhofs hielt. A m Ende des Staus bekam man natürlich von dem Streit nichts mit, ganz hinten, wo auch ein roter Porsche 911 stand, mit einer attraktiven Frau am Steuer, der der Stau gehörig auf die Nerven ging.
Kaum war Karl Zwerger aus Lipkas Renault-Megane-Cabrio ausgestiegen, auf dem Parkplatz vor dem »Tres T orres« in Seltmans, war der kleine T ino schon auf ihn zugekommen und hatte ihn überschwänglich begrüßt.
»Ah, Carlo, meine Freund! Kommst du heute mit Kollege! Und wo hast du bezaubernde Signorina Rita, eh?«
Karl Zwerger hatte keine besondere Lust, diese Fragen zu beantworten.
»Red jetzt nicht groß rum, T ino. Hast du Fisch?«
»Willst du Fisch, Carlo? Ich habe noch nie gesehen dich esse Fisch! Naturalmente ich habe Fisch … prima pesce … Dorada griglia, salmone al limone della casa …«
Zwerger winkte ab.
»Passt schon.«
Tino zeigte auf Lipka, den Zwerger bislang vorzustellen versäumt hatte.
»Und hier iste Kollege von dir. Machst du Geschäfte, eh?«
»Sozusagen. Das ist Herr Lipka.«
Lipka lächelte, was sonst. T ino gab ihm sofort die Hand.
»Signore Lippeka, willkommen in meine kleine Ristorante! Mach ich schöne Fisch für Sie! Hab ich reserviert kleine Platz in die Ecke wie jede Mittag!«
Lipka zog die A ugenbraue hoch.
»Sie essen immer auswärts?«
»Eher selten. A ber Sie kennen ja die Italiener, die übertreiben gern ein bisschen.«
Tino führte Zwerger und Lipka zu Karls Stammplatz in der Ecke. Das Restaurant war eingerichtet wie eine echte italienische Cantina, es gab Holztische mit weißen T ischtüchern, und selbst auf die obligatorischen PVC -Meeresfrüchte und die Lambrusco-Flaschen hatte man verzichtet.
Als Lipka sich gesetzt hatte, nahm T ino Zwerger zur Seite.
»Mach ich schöne Fisch für deine Kollege, ist wichtige Mann, oder?«
»Jaja. Mach einfach nicht so ein Geschrei, dann passt’s schon.«
»Aber Carlo, warum bist du gekomme mit diese französische Kranke-Fahrstuhl? W as ist mit deine schöne rote Nove-Undice? Iste kaputt?«
Zwerger schüttelte den Kopf, er wollte hier keine Details verbreiten, weder über Ritas V erbleiben noch über das des Porsche.
Er würgte den Italiener ab und setzte sich an seinen T isch, den Lipka bereits in Beschlag genommen hatte und sich äußerst wohl zu fühlen schien.
»Ich muss sagen, da haben Sie in der T at ein sehr nettes Restaurant ausgesucht, Herr Zwerger.«
»Man hat ja auch nicht jeden T ag einen Konkurs.«
»Danach werden Sie ja vielleicht mit einem Steh-Imbiss v orliebnehmen müssen, haha.«
Karl Zwerger hätte ihm am liebsten die Flasche Pellegrino ins Gesicht geschüttet, die T ino schon auf den T isch gestellt hatte. Er hatte gehofft, Lipka vielleicht mit einem guten Essen etwas geschmeidiger machen zu können, aber im Moment hoffte er nur, seinem Konkursverwalter würde eine Fischgräte im Hals stecken bleiben. Diese Hoffnung allerdings war eher dürftig,
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