Rita und die Zaertlichkeit der Planierraupe
Kohle für, das nächste ist in Ribnitz, und der Bus geht nur zweimal am T ag.«
Rita nickte.
»Heimat kann ganz schön grausam sein.«
Henning nahm einen tiefen Zug aus seiner Selbstgedrehten.
»Wenn Mami irgendwann über’n Jordan ist, mach ich rüber nach Hamburg und tätowier alles zu, was noch weiß ist.«
Ewald überlegte kurz.
»Ja, schon klar. Bei Negern lohnt sich das ja nicht mit solche Bilder, weil man’s eh nicht sehen tät.«
Rita goss sich aus der T hermoskanne noch einen Schluck Kaffee nach.
»Was ist mit Ihrer Mutter?«
»Kannst ruhig ›du‹ sagen, min Deern. T ja, meine Mami macht’s nicht mehr lang. Die guckt mich immer an mit ihren traurigen A ugen: Spazieren gehn will sie, würd so gern ihr Dorf nochmal sehn. A ber das geht nicht mehr, die Knochen machen nicht mehr mit. Die kommt gar nicht mehr raus aus’m Bett, und ich hab nicht mal ’n Rollstuhl. Ich kann sie ja schlecht auf die Sackkarre packen und durch den Ort karren …«
Ewald überlegte.
»Kommt man da von hinten dran, an dieses Schlafzimmer, wo dei Mütterle liegt?«
Henning sah Ewald verständnislos an.
»Wieso?«
Rita kannte diesen Blick schon, den Ewald jetzt hatte und der meistens V orbote eines besonders ausgefuchsten Einfalls war.
Eine halbe Stunde später fuhr Ewald mit der Fiat über das Kopfsteinpflaster durch das Dorf, schön langsam und vorsichtig. In den Gärten der Häuser standen alte Leute an ihren schmiedeeisernen Zäunen und winkten ihm zu. Die Schaufel der Fiat war nach oben gefahren, drinnen saß, auf Kissen gebettet und in Decken eingehüllt, die Mutter von Henning. Eigentlich lag die alte Frau mehr, als sie saß, aber das war auch egal: Sie strahlte über das ganze Gesicht.
»Das macht jetzt aber grad Spaß, oder?«
Hennings Mutter lächelte nur nickend, das Sprechen wollte nicht mehr so richtig klappen. A uch die Leute aus den Häusern riefen ihr etwas zu, manche kamen sogar aus ihren V orgärtchen heraus und liefen ein Stück weit neben der Raupe her, sagten ein paar W orte zu ihr oder gaben ihr kurz die Hand.
T ränen zeigten sich im Gesicht der alten Frau, und es war fast ein bisschen so, als wäre der Ratzinger mit ihr im Papamobil durch das Dorf gefahren.
Als Ewald sich nach drei Runden durch das Dorf langsam wieder dem Flachbau näherte, saß Rita zusammen mit Henning noch bei den Resten des Frühstücks. Ewald konnte nicht sehen, was Henning in seiner schwarzen Ledertasche verstaute, und er hörte natürlich auch nicht, was die beiden miteinander redeten.
»Gibst mir’n Fuffi, das ist’n absoluter Sonderpreis.«
Der Meinung war Rita auch.
»Da hab ich ja mein Leben lang was davon.«
»Sag ich doch.«
»Kriegt man das eigentlich wieder weg?«
Henning machte den V erschluss seiner Ledertasche wieder zu und zog sich die Gummihandschuhe aus.
»Mädchen, manche Sachen im Leben kriegst du nicht mehr wech. Deine ganze Kindheit schleppst du auch mit dir rum. Und auch wo du herkommst, das bleibt dir. Und deine A lten. Das kriegst du auch nie mehr wech, für immer und ewig nich. A ber über’n T attoo kannste auch mal was drüberziehn.«
Rita nickte stumm und schloss die beiden oberen Knöpfe ihrer Bluse.
Fricker hielt mit der Raupe vor den beiden und ließ die Maschine laufen.
»Schön war’s, das hat genau gepasst. Jetzt müssen wir bloß noch abladen, und dann geht’s weiter.«
Ewald stand auf, ging über die Motorhaube nach vorne zur Schaufel und flüsterte Hennings Mutter ins Ohr:
»Vielleicht komm ich auf’m Rückweg wieder vorbei, dann machen mir zwei nochmal einen Ritt durch die Gemeinde.«
Dann setzte er sich wieder ans Steuer und fuhr hinter den Flachbau zum A bladen.
Schweigend waren Ewald und Rita zwei Stunden lang mit der Fiat nordwärts gecruist, das »U.S. complete«-Frühstück hatte sie angenehm sediert. Rita bugsierte die Raupe mittlerweile so routiniert über die schlechten Straßen, als hätte sie nie etwas anderes getan. Im Moment wollte sie auch gar nichts anderes tun, als auf diesem Bock zu sitzen und einfach nur zu fahren, wohin auch immer. Nie hätte sie gedacht, dass ihr das genügen könnte, wenn auch nur für den A ugenblick.
Dabei hatte Rita schon einiges gewollt in ihrem Leben, und ihr war, als rüttelten ihr die Ketten auf dem schlechten A sphalt diese Erinnerungen jetzt wieder mitten ins Kleinhirn. Sie musste an ihre große Liebe denken, den schönen Guido, demzuliebe sie ihre Heimat verlassen und die T ür zu ihrem Elternhaus zugeschlagen
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