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Rita und die Zaertlichkeit der Planierraupe

Rita und die Zaertlichkeit der Planierraupe

Titel: Rita und die Zaertlichkeit der Planierraupe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jockel Tschiersch
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absonderlichen W eisheiten das Gefühl gegeben zu haben, dass in Ritas Leben einiges nicht stimmte, und zwar grundlegend: eine raupengestützte emotionale W urzelbehandlung sozusagen. Dazu kam, was sich Rita auch am gestrigen A bend nicht hatte eingestehen wollen: dass sie die Gegend kannte, in der sie all die jahrelang weggeschobenen Gedanken eingeholt hatten. Und dass sie unangenehm nahe an einem Ort war, den sie für immer aus ihrer Landkarte gestrichen gehabt haben wollte. Sie schob die unnützen Gedanken beiseite und ging einen Schritt auf Ewald zu.
    »Herr Fricker, wollen wir nicht ›du‹ sagen? Schließlich haben wir jetzt schon die zweite Nacht miteinander verbracht.«
    Ewald überlegte: Die einzige Frau, mit der er bislang unter einem Dach übernachtet hatte, war seine Mutter, und nicht einmal dieser V ergleich stimmte, denn hier hatte es nicht einmal ein Dach gegeben. Freilich war Frau Zieschke eine richtig nette Frau, auch wenn sie ihm die ganze Zeit die Raupe abluchsen wollte. Und eigentlich sah sie auch viel zu gut aus für eine, die so nett zu ihm war. A ber das war auch schon egal.
    »Von mir aus. Die Hydraulik hat jedenfalls dichtgehalten. Ich bin der Ewald.«
    »Rita.«
    »Weiß ich schon. W ir müssen los.«
    »Meinst du, die verfolgen uns?«
    »Wer? Die Leute vom Golfplatz, dass denen ein notgeschlachteter Porsche nicht reichen tät?«
    Fricker lachte und startete den Motor. Rita stand vor der Schaufel und schüttelte den Kopf. Ewald verstand nicht, was sie wollte.
    »Ich fahre, Ewald.«
    Das hatte er nun von diesem »Duzen«, dachte er sich und rutschte zur Seite. Rita stieg auf und legte den Gang ein.
    Sie ließen die Kiesgrube hinter sich und arbeiteten sich auf kleinen Sträßchen weiter vor in Richtung Norden. Rita fuhr bravourös, und Ewald ließ sie einfach machen. Er dudelte ein wenig auf dem A kkordeon herum, übte T onleitern, aber selbst das machte er so gut, dass es einen gewissen Unterhaltungswert hatte, als akustische Begleitung für eine Fahrt durch das verwaiste mecklenburgische Hinterland allemal.
    Vor ihnen tauchte ein kleines Straßendorf auf.
    »Stimmt das überhaupt, hier lang?«
    »Wenn in der Früh die Sonne rechts ist, dann geht’s gradeaus zur Ostsee, wenn man vom A llgäu kommt.«
    Rita musste zugeben, dass Ewalds navigatorischer A nsatz von bestechender Einfachheit war.
    Das Dorf, das jetzt direkt vor ihnen lag, schien nur aus ein paar Häusern entlang der Straße zu bestehen, ein Kirchturm war nicht zu sehen. Der ramponierte A sphaltbelag der Straße ging in Kopfsteinpflaster über, und Ewald machte Rita ein Zeichen, etwas langsamer zu fahren. Das erste Haus am Eingang des Dorfs war ein Flachbau aus DDR -Zeiten, der Putz hatte immer noch den charmant-verwaschenen Braunton, der im ehemaligen A rbeiter- und Bauernstaat in dezenten V ariationen vorgeherrscht hatte. Die Fenster waren vergittert, wahrscheinlich handelte es sich um ein ehemaliges Postgebäude oder einen Funktionsbau der glorreichen V olkspolizei. A uf der betonierten V orfläche standen ein paar einsame Plastikstühle samt T ischchen, oben auf dem Flachdach war ein dunkelblau gestrichenes Schild aus Holz angeschraubt, auf dem in weißen Großbuchstaben geschrieben stand, welche Gewerke der neuzeitlichen Dienstleistung hier feilgeboten wurden:
    FRISCHBACK-CENTER/POST-OFFICE/TATTOO/PIERCING/SONDERPOSTEN
    Trotz des bunten Reigens an A ngeboten machte das A nwesen einen etwas verlassenen und traurigen Eindruck. A llein neben der T ür stand ein Bär von einem Mann, der vielleicht um die vierzig sein mochte, einen V ollbart hatte und das lange Haar zu einem Zopf gebunden hatte. Er trug Jeans und Baumwollhemd, darüber eine kettenbehangene Lederweste mit ausgebeulten T aschen. Er hatte die kräftigen A rme vor der Brust verschränkt, die dunkle Sonnenbrille ließ ihn geradezu martialisch wirken.
    Ewald wusste natürlich nicht, was auf dem Schild alles angepriesen wurde, aber Rita sah ihren ersehnten Morgenkaffee in greifbare Nähe gerückt und hielt mit der Raupe direkt vor dem Multi-Store. Ewald winkte dem Mann freundlich zu.
    »Grüß Gott, tät’s jetzt da vielleicht ein Frühstück geben?«
    Der Mann schob die Sonnenbrille mit einer langsamen Bewegung nach oben, auf seinem Gesicht zeigte sich der A nflug eines mitleidigen Lächelns.
    »Kanns’ nich lesen, min Jung?«
    Bevor Ewald diese Frage beantworten konnte oder wollte, war Rita schon abgestiegen und hatte sich an eines der T ischchen gesetzt.
    »Zweimal

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