Ritter 01 - Die Rache des Ritters
noch schlechter kann als singen, ist dichten«, teilte er Raina mit widerstrebender Heiterkeit mit. »Aber sag ihm das nicht; ich fürchte, er selbst hält sich für einen Barden.«
Raina beobachtete in entzückter Erwartung, wie Wesley die Schultern straffte und sich dann räusperte.
Der Keiler, den wir heute speisten, war schrecklich und gemein,
Sein Hieb und Biss noch übler als sein Atem.
Der Junge wurde schlimm verletzt, doch war er mutig in der Not.
Und sein Pfeil brachte diesem Biest den Tod.
Wesley hielt sich den Bauch und krümmte sich, beugte sich dabei so weit vor, dass er fast vom Tisch gefallen wäre. Gelächter und Beifall brandeten auf, als er sich mit einem lebhaften Sprung wieder aufrichtete und sich dann Gunnar und Raina zuwandte.
Lord Gunnars Blick schreckt alle Biester,
Sie sehen ihn und laufen fort.
Doch wenn die Weiber ihn erblicken,
macht keine lange große Zicken,
Sie fordern ihn zum lust’gen Tanz,
Sein Schwert, sagt man, ist so groß wie sein –
»Wein! Mehr Wein!«, brüllte Gunnar, der aufgesprungen war. »Bringt noch mehr Wein!«
Raina sah ihn überrascht an, als er von seinem Schemel aufsprang. Er war rot geworden! Sie lachte laut los, verbarg ihr Kichern hinter vorgehaltener Hand, während der Page herbeigelaufen kam, um Gunnars Becher zu füllen. Er nahm einen großen Schluck, während Wesley vom Tisch sprang und die Halle in laute Jubelrufe ausbrach und Witze über die Männlichkeit ihres Lords zum Besten gab.
»Ich kann nicht ganz sicher sein, ohne den Vergleich geprüft zu haben«, wisperte Raina, »aber ich vermute, dass Wesley mit seiner Annahme recht haben könnte.«
Gunnar sah sie mit offenem Mund und offensichtlich schockiert an, dann stürzte er den Rest des Weines herunter. »Gebt acht, Mylady, sonst könnte es Euch passieren, dass Ihr diese Versammlung verlassen werdet, damit ich Euch genau diese Vermutung bestätige.«
Sie hätte ihn fast beim Wort genommen, aber lärmende Musikklänge lenkten ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Halle. Odette stand jetzt auf einem der Tische, schürzte ihre Röcke und zeigte ihre strammen Waden, während sie zum Rhythmus von klatschenden Händen und auf die Tische geschlagenen Bechern tanzte. Wesley, Cedric und einige andere Männer schoben rasch alle anderen Tische zur Seite und schufen eine freie Fläche in der Mitte der Halle. Rupert, der junge Page, sprang zu Odette auf den Tisch, ergriff ihre Hand und tanzte mit ihr. Jemand anders nahm Dorcas am Arm und schwenkte sie schwungvoll zur Tanzfläche.
Raina fand das fröhliche Treiben ansteckend und klatschte in die Hände, ihr nackter Fuß wippte unter dem Tisch im Takt mit. Sie wusste, dass Gunnar sie beobachtete, aber sie fühlte sich nicht im Mindesten gehemmt. Dinge wie diese geschahen nie auf Norworth. Die Mahlzeiten waren immer langweilige, ernste Angelegenheiten, selbst wenn fahrendes Volk von weit her aufgespielt hatte, um das Burgvolk zu unterhalten. Ihr Vater hatte Tanzen und das Feiern von Festen nicht gewollt, außer wenn er Adligen oder irgendwelchen Würdenträgern etwas bieten musste. Aber Raina wollte nicht gerade jetzt darüber nachdenken. Heute Nacht und in den kommenden drei Nächten, die sie noch mit Gunnar zusammen sein konnte, würde sie es sich gut gehen lassen.
Als Cedric einen Augenblick später an den Tisch des Lords trat und darum bat, mit Raina tanzen zu dürfen, ergriff sie seine Hand und folgte ihm in den Kreis der Feiernden.
Gunnar sah zu, wie Raina an Cedrics Arm über die Tanzfläche wirbelte und dabei fröhlich lachte. Ihr offenes Haar flatterte hinter ihr her wie ein Schleier aus Seide. Ihr Gewand bestand längst nur noch aus Fetzen, das blasse Grün war vor Flecken und Schmutz fast nicht mehr zu erkennen. Mit ihren nackten, schmutzigen Füßen und dem zerrissenen, herunterhängenden Ärmel mochte sie in diesem Augenblick für jeden anderen ausgesehen haben wie ein unglückseliges, heimatloses Kind, aber für Gunnar war sie einfach eine strahlende Schönheit. Eine Märchenprinzessin, und er war wie verzaubert.
»Warum hast du mir nicht gesagt, dass sie d’Bussys Tochter ist?«
Merricks Frage lenkte Gunnars Aufmerksamkeit jählings auf den alten Mann. Himmel, er hatte nicht einmal bemerkt, dass er sich neben ihn gesetzt hatte. Alles, was er gesehen hatte, und alles, worauf er sich jetzt konzentrieren konnte, war die Frau, die seine Halle heller erleuchten ließ … und sein Herz.
»Deine Männer haben mir von deinem Plan berichtet,
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