Ritter 01 - Die Rache des Ritters
sie gegen ihren Vater auszutauschen. Glaubst du wirklich, dass das klug ist?«
Gunnar dachte an den Tag, an dem er diesen Handel abgeschlossen hatte. Es schien eine Ewigkeit her zu sein. »Zu der Zeit hatte ich keine andere Wahl.«
»Und jetzt?«
Gunnar runzelte die Stirn und strich mit dem Daumen nachdenklich über den Rand seines Bechers. »Ich bin mir nicht sicher.«
»Mir scheint, dass du etwas angefangen hast, von dem du nicht bereit bist, es aufzugeben, eh? Vielleicht ist es an der Zeit, die Vergangenheit ruhen zu lassen, mein Junge.«
»Das kann ich nicht, das weißt du. Ich habe ein Versprechen gegeben. Ich habe mein Leben daran gesetzt!«
»Und was ist mit ihr?« Merrick wies mit einem Kopfnicken auf Raina. »Willst du mir etwa sagen, dass du ihr kein Versprechen gegeben hast?«
Gunnar dachte an den Tag gestern auf der Lichtung, als sie ihm von ihrem Traum für sie beide erzählt hatte, ihren unschuldigen Wunsch nach einem friedvollen gemeinsamen Leben. »Ich habe sie um nichts gebeten – und ich habe ihr nichts versprochen.«
Merrick schürzte die Lippen und stieß einen langen Seufzer aus. »Glaubst du, dass ein Versprechen nur bindend ist, wenn man es ausspricht?« Er schüttelte ernst den Kopf. »Manchmal sind die Versprechen, die wir nicht geben, gerade diejenigen, die wir halten müssen.«
Rainas Lachen zog Gunnars Aufmerksamkeit auf sich wie ein Streicheln und ließ ihn zittern vor Verlangen, sie in die Arme zu nehmen und von ihr zu fordern, ihm zu sagen, was zu tun sei, dass sie ihm das Versprechen abrang, das er so gerne geben wollte. Sie schaute zu ihm hin, und ihre Blicke trafen sich. Ihr Lachen wurde zu einem warmen, unschuldigen Lächeln, und er wusste, dass sie ihn niemals bitten würde, seinen Schwur zu brechen, ganz egal, wie sehr es sie schmerzte.
Sie vertraute ihm, dass er das Richtige tat.
Diese Erkenntnis traf ihn wie der Schlag einer eisernen Faust in den Magen. Er wandte den Blick ab, unfähig, den Gedanken zu ertragen, dass er sie enttäuschen könnte. Dass sie ihn hassen könnte.
Und ihm blieben nur noch vier Tage Zeit.
»Denke darüber nach, mein Junge«, riet Merrick mit ruhiger Stimme. Dann stand er auf und ging davon.
Als Wesley Rainas Hand ergriff und sie inmitten der Menge umherschwenkte, nutzte Gunnar diese Gelegenheit, um die Halle unbemerkt von ihr zu verlassen. Er musste fort von den einengenden Mauern des Turmes, fort von allem.
Fort von Raina.
Fort von sich selbst.
Er hastete die Treppe hinunter auf den schlammigen Burghof, achtete nicht auf den Regen, der ihm hart auf die Schultern schlug. Der heftige Schauer trug wenig dazu bei, Merricks Worte zu vertreiben, die Gunnar noch in den Ohren hallten, als er auf sein Pferd stieg.
Manchmal sind die Versprechen, die wir nicht geben, gerade diejenigen, die wir halten müssen.
Verdammt! Warum hatte er es sich erlaubt, etwas für diese Frau zu empfinden? Er war schließlich kein bartloser Jüngling, krank vor Lust nach seiner ersten Geliebten. Und – gnade ihm Gott! – was er für Raina empfand, war mehr als Lust. Sehr viel mehr.
Wie hatte er das zulassen können? Wie hatte er es fertiggebracht, sich all diese Jahre der strengsten Disziplin zu unterwerfen, nur um sie dann für ein dickköpfiges, weichherziges Lamm über Bord zu werfen? Warum hatte er sie in seine Seele hereingelassen? Bei allen Heiligen, wie konnte er sie da jemals wieder gehen lassen?
Gunnar hieb seine Sporen in die Flanken des Pferdes, drängte es zu einem donnernden Galopp. Der Regen stach ihm ins Gesicht, durchnässte sein Haar und seine Tunika. Er ritt durch die Dunkelheit, ohne zu wissen wohin, doch es machte ihm nichts aus. Er brach durch Dickichte und galoppierte über Hügel, durch Landschaften, die in Regen und Sturm geisterhaft und schwarz wirkten.
Er war verloren, doch es kümmerte ihn nicht. Wie blind ritt er durch die Dunkelheit ins Nichts, in eine Zukunft aus nichts als … Einsamkeit. Sein Pferd ermüdete langsam, keuchte und war nass von Regen und Schweiß, die Muskeln starr vor Anstrengung, aber Gunnar drängte das Ross weiter. Er brauchte die Geschwindigkeit, musste das Donnern der Hufe hören. Das alles, um den Schlag seines Herzens zu übertönen, das ihm in der Brust entzweibrach.
Der Sturm zerrte an ihm, laute Donnerschläge grollten über ihm und ließen die Erde erbeben. Und dann schoss ein riesiger Blitz aus dem Himmel, so rein und weiß und stark, als hätte ihn Gott selbst geschleudert. Er zischte in blendender
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