Ritter 01 - Die Rache des Ritters
rasch verschlangen.
Er stellte die Tasche mit dem Brot und dem Käse neben Raina, legte den Weinschlauch dazu und ging dann zu der ihrem Lager gegenüberliegenden Wand. Dort setzte er sich auf den Boden, lehnte sich mit dem Rücken an die Mauer und stützte die Ellbogen auf seine angezogenen Knie. Fast sofort breitete sich die Erschöpfung bis in seine Knochen aus, ließ seine Schultern heruntersacken und zog ihm das Kinn auf die Brust, rief ihn in den Schlaf.
Der Albtraum begann in dem Moment, als ihm die Augen zufielen.
8
Raina erwachte von dem leisen Knistern und Zischeln des Feuers, und der Geruch nach Hefebrot und geräuchertem Käse stieg ihr von irgendwo neben ihrem Kopf in die Nase. Schlaftrunken öffnete sie die Augen. Im Zimmer war es ruhig. Das Feuer erhellte es schwach und warf flackernde Schatten an die Wände. Ein Luftzug vom Fenster gegenüber strich über ihren Rücken, die Kühle lief ihre Beine hinauf, ein deutlicher Hinweis darauf, dass ihr die Röcke bis zu den Knien hochgerutscht waren und sie nicht mehr vor Blicken schützten.
Der Schlaf war nicht leicht gekommen, und sie fragte sich, wie lange sie geschlafen hatte. Wie lange Rutledge fort gewesen war und wohin er gegangen war. Sie wusste, dass er jetzt in diesem Zimmer war, sie hatte seine Anwesenheit spüren können, noch ehe sie die tiefen Atemzüge eines schlafenden Mannes gehört hatte.
Sie drehte sich auf die Seite und schaute zu ihm hinüber, dann setzte sie sich leise auf. Ihr Körper fühlte sich steif an und schmerzte, war aber dank der Decke, die Rutledge für sie ausgebreitet hatte, nicht zu sehr verspannt. Rutledge schlief im Sitzen, den Rücken gegen die Wand in der Nähe des Fensters gelehnt, seine kräftigen Unterarme hatte er auf die Knie gestützt, und das Kinn ruhte auf seiner Brust. Er hatte seinen Umhang nicht zum Schlafen benutzt. Er lag neben dem Kamin, und auf ihm türmte sich ein Bündel Reisig. Rutledge musste auch das Feuer angezündet haben und ihr zu essen und einen Schlauch Wein hingelegt haben.
Wie gastfreundlich für einen Entführer, dachte sie. Du lieber Gott, sie hasste es wirklich, noch weitere Freundlichkeiten von ihm anzunehmen, so bescheiden sie auch waren, aber sie hatte Hunger. Schrecklich großen sogar. Sie warf einen kurzen Blick auf die Speisen und presste die Hand auf ihren knurrenden Magen.
Nur um das Knurren zu besänftigen, sagte sie sich, während sie die Sachen auspackte. Sie brach eine Ecke von dem Käse ab und schob sie sich in den Mund, kaute den kreideweißen Happen, während sie auf Zehenspitzen zum Fenster schlich und – sie drückte sich dabei eng gegen die Wand – über den Sims auf den Hof hinunterspähte, wo Rutledges Männer ihr Lager aufgeschlagen hatten. Keiner der Männer rührte sich, sie alle schnarchten wie in einem seltsamen mitternächtlichen Chor.
Ein banges Zittern brachte Rainas Herz zum Rasen.
Grundgütiger Himmel, sie fürchtete fast, es zu denken … hatte fast Angst, es zu hoffen. Wenn alle schliefen, konnte sie fliehen! Konnte Rutledges schrecklichen Handel verhindern, indem sie einfach zur Tür hinausspazierte und auf einem seiner Pferde davonritt. Zurück nach Norworth, nach Hause zu ihrem Vater.
Sie ergriff die Gelegenheit beim Schopf und durchquerte leise das Zimmer. An der Tür blieb sie stehen und streckte die Hand nach dem eisernen Riegel aus, bereit zu fliehen – als Rutledges Stimme hinter ihr ertönte.
»N-Nein … «
Es war eher ein Ächzen als ein Befehl für Raina, zu bleiben, dennoch rührte sie sich nicht. Sie verharrte reglos. Die halblauten Worte erklangen wieder, dieses Mal nachdrücklicher, schmerzerfüllter. Langsam wandte Raina den Kopf und schaute über die Schulter.
Rutledges Kopf war zur Seite gekippt, seine Augen waren geschlossen, die Stirn war gefurcht, der Mund zu einer Grimasse verzogen. Er holte heftig Luft, und sein Körper zuckte zusammen. Dieses Mal war seine Stimme nur ein angsterfülltes Flüstern. »Bitte … oh Gott, nein … «
Raina biss sich auf die Lippen und wandte den Blick sofort von ihm ab, schloss für einen Moment die Augen und versuchte, kein Mitleid mit ihm zu empfinden. Wenn er an Albträumen litt, dann sollte er das ruhig. Vermutlich wurden sie aus seiner eigenen Grausamkeit geboren, und ganz bestimmt gingen sie sie nichts an. Ihre einzige Sorge sollte es jetzt sein, so weit wie möglich von diesem hassenswerten, schlafenden Ungeheuer fortzukommen und in den sicheren Hafen ihres Vaters
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