Ritter-Geist
Oberschenkeln; die Arme waren ebenfalls kurz und besaßen derart wenig Muskeln, daß sie mir wie Pfeife n holme vorkamen. Der Schwerpunkt lag tiefer als bei meinem eig e nen Körper, und das ganze Gleichgewicht schien irgendwie unte r lastig zu sein. Mit meiner freien linken Hand tastete ich umher und überzeugte mich davon, daß das Hinterteil ungeziemend groß war und daß der Brustkorb… es schien mir unnatürlich, soviel Fleisch auf der Brust zu haben. Wenn ich zu schnell ging, wackelte es auf und ab. Tatsächlich hatte ich überall zuviel Fleisch; ich fühlte mich unschön.
Andere Probleme gab es auch noch: Mein schwarzes Haar w e delte um meine Schultern herum und neigte dazu, mir den Blick zu versperren, wenn ich nicht ständig mein Kinn emporreckte. Auch mein Gang war irgendwie komisch; meine Hüftknochen standen zu weit auseinander, so daß sich mein ganzes Becken auf peinliche Weise drehte, wenn ich große Schritte machte. Das konnte ich nur dadurch in den Griff kriegen, daß ich winzige kleine Tippelschritte machte, die wiederum mein Tempo verlangsamten.
Zweifellos war es die Sache wert, einmal Gelegenheit zu haben, die Mängel der weiblichen Gestalt direkt aus erster Hand kenne n zulernen. Kein Wunder, daß Frauen auf Männer immer neidisch waren!
Nach einer halben Stunde bemerkte ich zu meiner gewaltigen Erleichterung, daß Threnodias Talent funktionierte. Ich war schon deutlich leichter geworden, und der Luftwiderstand schien zug e nommen zu haben. Nun mußte ich nur noch eine geeignete Stelle finden, wo ich das Schwert verstauen konnte.
In einem Baum? Nein, aus dem konnte es sich wieder freihacken. In ein tiefes Loch? Nein, dann wurde es möglicherweise von i r gend jemandem zu früh ausgegraben. Es mußte auf alle Zeiten gefesselt bleiben.
Da entdeckte ich einen großen Felsbrocken, ungefähr halb so hoch wie ein Mensch und äußerst massiv, der am Rand der Kuns t baumgruppe stand. Er schien aus solidem Marmor zu bestehen.
Ich schritt immer weiter, bis die Transformation beendet war, bis das Schwert und ich nämlich so diffus waren wie Nebel oder sogar noch verschwommener. Zur Probe trat ich mit dem Fuß gegen einen kleinen Baumstamm, in den ich ohne nennenswerten Wide r stand sofort eindrang. Ich war bereit!
Ich marschierte zu dem Felsbrocken, hob das Schwert mit be i den Händen, die Spitze nach unten gerichtet, und senkte es bis zum Knauf in den Fels. Dann ließ ich es los, wich einen Schritt zurück und musterte es zufrieden. »Dort bleibst du jetzt, schreckl i che Klinge!« sagte ich.
Das hätte ich besser nicht getan. Das Schwert hörte mich und merkte offensichtlich, daß hier irgend etwas faul war. Schon b e gann es sich aus dem Felsbrocken zu schieben.
Hastig griff ich nach dem Knauf und drückte es zurück. »Immer mit der Ruhe, immer mit der Ruhe!« rief ich. »Du hast dich so wacker geschlagen, ehrenvolle Klinge, nun mußt du ruhen. Du kannst doch nicht die ganze Zeit fröhlich vor dich hinhacken.« Ich zwinkerte das Schwert mit meinen wunderschönen Augenlidern an. Das Schwert beruhigte sich wieder. Doch ich konnte es nicht riskieren, es wieder loszulassen, denn sollte es sich aus dem Felsen losreißen und davonfliegen, würde ich es nie wieder einfangen. Also hielt ich es fest und wartete, während wir beide wieder lan g sam feststoffliche Gestalt annahmen.
Doch die Klinge war etwas mißtrauisch und begann zu zappeln. Da ich um ihre brutale Kraft wußte, beruhigte ich sie durch G e sang. Meine Stimme klang wunderschön und traurig; da ich weder Melodien noch Texte kannte, sang ich einfach lalala vor mich hin, mit gewaltigem Gefühl, und solange ich das tat, verhielt sich die Waffe auch ruhig. Kein Wunder, daß Frauen Männern stets mit unterschwelliger List zusetzten – was hätte denn auch sonst g e wirkt?
Eine ganze Stunde stand ich da und sang, bis wir beide wieder feststofflich waren, dann ließ ich die Waffe endlich fahren – und sie war fest in dem Felsen eingesperrt. »Gut!« Diese Klinge würde mir keinen Schaden mehr zufügen!
Vorsichtig zog ich mich zurück und behielt dabei die Klinge im Auge, um sicherzugehen, daß sich die schreckliche Waffe nicht wieder losriß und ihr Unheil fortsetzte. Doch sie blieb an Ort und Stelle. Ich fragte mich, ob diese Klinge im Stein eines Tages vie l leicht irgendwo in einem anderen Land vielleicht an bedeutung s voller Stelle auftauchen würde, und ob dort vielleicht jemand h e rausbekäme, wie er – nein, das war doch albern,
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