Ritter-Geist
eine Magie, die ihr Menschen nicht kennt«, flüsterte sie. Und dann hat sie – ich schwöre es – den Rand meines Ohres geküßt.
Ich weiß kaum, was mich mehr erstaunte – das Heben des Baumstamms oder der Miniaturkuß. Was war hier los?
Die drei trugen den Stamm bis zum dritten Steinkreis und machten eine Pause. Dann schritten die beiden Elfen an den E n den davon – und so blieb nur noch einer in der Mitte des Stammes übrig, der ihn doch tatsächlich bis zur Ulme schleppte.
Dieses unmögliche Geschehen konnte ich nicht widerspruchslos hinnehmen. Also stand ich auf und schritt auf den Baum zu. »Ich will diesen Stamm noch einmal überprüfen!« sagte ich. Ich hegte den Verdacht, daß sie möglicherweise einen Weg gefunden hatten, um die Dinge in Baumnähe leichter zu machen.
Der Elf setzte ihn ab. Ich bückte mich und hob ihn auf – aber nur mit Mühe. Das Ding war immer noch so schwer wie zuvor. Wie hatte er nur…
Da bekam ich ein merkwürdiges Gefühl. Ich schwebte in die Höhe!
Ich blickte hinunter – und mußte feststellen, daß der Elf mich an meinen Schuhen emporstemmte. Seine winzigen Hände hatten meine Sohlen gepackt, und nun befand ich mich in der Luft, i m mer noch den Baumstamm haltend.
Da begann ich zu zittern. Ebensosehr vor Erstaunen wie aus mangelndem Gleichgewichtssinn, und er setzte mich wieder ab. Dann legte ich den Stamm ab und stand benommen da. Ich hatte mich selbst nur noch mehr in Verwirrung gestürzt. Die Elfen um den Baum lächelten fröhlich.
»Das liegt am Baum, Jordan«, sagte Glockenblume zu mir. »Je mehr wir uns ihm nähern, desto stärker werden wir Elfen dadurch. Deshalb lagern wir auch immer in unmittelbarer Nähe einer Elfe n ulme.«
»Soll das heißen…« Doch ich hatte bereits begriffen, daß es die Wahrheit war. Das war kein Trick gewesen, nur eine Vorführung. Am Fuße des Baums wuchs die Kraft eines Elfs praktisch ins U n endliche. »Gilt das auch für die Frauen?«
»Soll ich Euch einmal hochstemmen?« fragte sie. »Ich kann das… hier neben der Ulme.«
»Und werdet ihr… werden die Elfen schwächer, je mehr sie sich vom Baum entfernen?«
»Ja, aber im umgekehrten Verhältnis. Wenn wir uns dem Baum nähern, verändern wir uns sehr schnell, wenn wir uns jedoch von ihm entfernen, nur sehr langsam. Solange wir nicht zu weit von ihm weg sind, ist alles in Ordnung.«
»Und wenn ein Ungeheuer Euch angreift…«
»Dann weichen wir in Richtung Ulme soweit zurück wie nötig«, erklärte sie. »Wir beschützen die Ulmen, und die Ulmen beschü t zen uns. Die Magie wirkt auf niemanden, der nicht elfischer He r kunft ist. Deshalb sind unsere Lager auch fast uneinnehmbar. Selbst ein Elfenkind könnte ein Ungeheuer davonschleudern. Aber wir geben uns nicht sehr viel Mühe, um anderen Leuten auf die Nerven zu fallen.«
Das erklärte auch, weshalb es in der Umgebung des Sumpfes, in dem ich aufgewachsen war, keine Elfen gab. Dort wuchsen auch keine Elfenulmen.
»Und nun seid Ihr an der Reihe«, sagte sie. »Ihr müßt uns Eure Geschichte erzählen, denn wir Elfen sind sehr neugierig, was die anderen Lebewesen und Gebiete Xanths angeht. Ich hoffe, es ist eine gute Geschichte.«
Ich zuckte die Schultern. »Wenn Ihr wollt, kann ich sie ein wenig ausschmücken.«
»Nein, wir ziehen die Wahrheit vor.«
Also setzte ich mich in der Nähe des Baumes auf den Boden und erzählte meine Geschichte, ganz ähnlich, wie ich es bis jetzt getan habe, und sie hörten aufmerksam zu und stellten intelligente Fr a gen. Sie waren aufrichtig interessiert, und ich bemerkte sogar einen Schriftelf, der sich Notizen machte. Ich hatte eigentlich den Ei n druck, daß das, was ich so erzählte, ziemlich mundaner Kram war, wenn du diesen Ausdruck verzeihst, denn schließlich hatte ich weder Drachen erschlagen, noch war ich auf irgendwelche ph ä nomenalen Zauber gestoßen. Doch sie interessierten sich wirklich dafür und waren am Ende auch befriedigt. Merkwürdig war nur, daß ihnen jene Teile am besten gefielen, von denen sie am meisten verstanden, im Gegensatz zu jenen, die außerhalb ihres Erfa h rungsbereichs lagen.
Glockenblume hatte gesagt, daß sie die Wahrheit hören wollten, und die bekamen sie auch von mir, so wenig aufregend sie auch sein mochte, und das gefiel ihnen. Später begriff ich, daß das für sie nur zum Teil eine Unterhaltung war, gleichzeitig schätzten sie mich nämlich auch ein und kamen aufgrund meiner Geschichte zu dem Schluß, daß ich ein ehrlicher Mensch war,
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