Ritter und Raufbolde
Stich.
Krieg wird hier nicht mit dem Blick auf den Ausgang und die Folgen, sondern bezüglich der Art und Weise bewertet, wie er gekämpft wird. Nach diesen Maßstäben bedeutet Flucht Unehre, während das Ausharren in der Schlacht als ritterliche Tugend gelobt wird. In diesem Kontext ist das Absitzen vom Pferd ein Ausweis von Kampfesmut, gerade weil man sich damit der Fluchtmöglichkeit beraubt.
Das Heer als Netzwerk
Die Anwesenheit des Königs (und jedes anderen Heerführers) auf dem Schlachtfeld hatte mehr als nur symbolische Bedeutung und war nicht nur Ausdruck seiner individuellen Tapferkeit. Ein mittelalterliches Heer war auch ein soziales Gefüge, in dem der König die entscheidende Stellung einnahm. Der Historiker Theodor Mayer († 1972) hat den Begriff ,Personen verbandsstaat ‘ geprägt, um die personalen Grundlagen der früh- und hochmittelalterlichen Gesellschaft von den Verhältnissen in einem neuzeitlichen Flächenstaat abzugrenzen. Herrschaft beruhte in starkem Maße auf persönlichen Kontakten und fand von Angesicht zu Angesicht statt. In Analogie hierzu könnte man für das mittelalterliche Heer von einem ,Personen verbandsheer ‘ sprechen. Moderne Armeen sind durch militärische Ränge (wie General, Leutnant und Feldwebel) und militärische Funktionen (wie Battaillonskommandant, Kompanie- oder Zugführer) strukturiert; theoretisch weiß jeder Soldat zu jedem Zeitpunkt eines Gefechtes, wer das Kommando über |35| wen hat, auch wenn etliche Offiziere und Führungspersonen ausgefallen sind: Hierarchie besteht immer.
In einem mittelalterlichen Heer gestaltete sich die Sache anders. Wir sind nicht über alle Einzelheiten von Befehlsübermittlung und Kommando in mittelalterlichen Truppen informiert; diese Details sind für mittelalterliche Geschichtsschreiber einfach zu selbstverständlich, um erwähnt zu werden. Man kann aber sagen, dass die Kampfverbände stark von sozialen Aspekten geprägt waren. Die Rekrutierung von Kämpfern erfolgte oftmals entlang den Kommunikationslinien von Familie und Herrschaft: Ein Adliger griff auf Männer aus seiner Familie und auf das vom ihm beherrschte Land zurück, um seine Verpflichtungen etwa gegenüber seinem König zu erfüllen.
Die auf diese Weise entstandenen militärischen Kontingente waren auf ihren (sozialen) Anführer ausgerichtet. Er war für ihre Bezahlung verantwortlich und war ihr Dienst- oder Lehnsherr oder das Familienoberhaupt. Diese Art sozialer Bindung gliederte jedes mittelalterliche Heer. An der Spitze der sozialen Ordnung stand der König; dieser war damit auch der Führer jeder militärischen Aktion, an der er beteiligt war – zumindest nominell.
Diese Ausrichtung auf den König konnte ganz erhebliche militärische Konsequenzen haben. Man hat die Struktur eines mittelalterlichen Heeres auch mit einem Netzwerk im Sinne der Netzwerktheorie verglichen. 12 Ein modernes Beispiel für so ein Netzwerk ist etwa das Netz von Flugverbindungen eines Landes: Einzelne Flughäfen stellen Knotenpunkte dar, auf die sich der Verkehr einer Region hin konzentriert, und bestimmte Großflughäfen fungieren als überregionale Knotenpunkte, welche das Land mit dem internationalen Luftverkehr verbinden. Für jede Position im Netzwerk gibt es also zunächst einen regionalen Bezugspunkt, von dem aus dann |37| wieder Verbindungen zu einem überregionalen Knotenpunkt bestehen. In ähnlicher Weise kann man sich auch ein mittelalterliches Heer vorstellen: Jeder Kämpfer orientiert sich zunächst auf den Führer des Aufgebots, dem er angehörte; der übergeordnete Bezugspunkt dieser Abteilungsführer, welche in der Regel auch im sozialen Gefüge eine herausragende Stellung einnehmen, ist dann der Heerführer, etwa der König.
Die Netzstruktur beförderte die Kommunikation in der Truppe. Gerade vor dem Hintergrund ungenügender Kommunikationsmittel sichert ein Netzwerk den Informationsfluss effizienter als ein linearer Aufbau.
Diese Art von Struktur hatte zur Folge, dass mittelalterliche Heere sehr anfällig beim Ausfall von Führungspersonal waren. Wenn man aus einem Netzwerk einen Knotenpunkt entfernt, verliert das System seine Struktur und funktioniert nicht mehr (so gut). So führte der Ausfall eines Heerführers nicht selten zur panikartigen Flucht des gesamten Heeres. Dabei war es nicht entscheidend, ob der König tatsächlich starb oder etwa nur vom Pferd fiel. Ausschlaggebend war, dass er von seinen Truppen nicht mehr gesehen wurde. So stand eine Schlacht
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