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Ritter und Raufbolde

Ritter und Raufbolde

Titel: Ritter und Raufbolde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauss
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benutzt, um die Normalität einer funktionierenden Königsherrschaft darzustellen. Wenn ein König auf die Jagd reiten kann, ist er Herr der Lage und Herr in seinem Reich. In diesem Sinne kann die Jagd auch als Ersatz für den Krieg benutzt werden. Wenn ein König schon nicht in den Krieg zieht, geht er wenigstens auf die Jagd. Eine Form der körperlichen Beschäftigung, welche die (kriegerische) Handlungsfähigkeit des Königs dokumentiert, war Teil des Königseins. 7 Jagd und Krieg ähneln sich ja für die beteiligten adligen Anführer: Beide erfordern Fähigkeiten als Reiter, beide sind insofern ,männliche Künste‘, als mit Waffen agiert werden muss, in beiden treten dieselben Personengruppen – der König, sein Hof und die hochadlige Führungsschicht des Reiches – im Verbund auf. Jagd und Krieg teilen somit die gleiche Öffentlichkeit, vor der ein König seine Handlungsfähigkeit beweisen kann und muss.
    Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum uns eine dem König wohlgesonnene Geschichtsschreibung glauben lassen will, Karl der Große sei quasi jedes Jahr ins Feld gezogen. Dies belegt einmal die Häufigkeit von kriegerischen Aktionen im Mittelalter, verweist aber gleichzeitig auch auf die Bedeutung des Krieges für das Königtum. Ein König musste kriegerisch tätig – und erfolgreich – sein. Militärische Siege sicherten dem König Prestige und Ansehen. So berichtet Widukind von Corvey († n. 973) vom Sieg König Ottos I. über die Ungarn auf dem Lechfeld bei Augsburg im Jahr 955: „Durch den herrlichen Sieg mit Ruhm beladen, wurde der König von seinem Heer als Vater des Vaterlandes und Kaiser begrüßt.“ 8
    |30| Hier wird das Kaisertum Ottos des Großen, der faktisch erst 962 in Rom zum Kaiser gekrönt wurde, durch seinen Erfolg auf dem Schlachtfeld begründet. Durch den Sieg erweist sich Otto für das Kaisertum würdig, die Grundlage für Rang und Ansehen ist der militärische Triumph über die Ungarn.
    Herrscher auf der Flucht
    Umgekehrt führte eine Niederlage nicht nur zu politischen und militärischen Rückschlägen, sie kratzte auch am Image eines Königs. Sinnfälliger Ausdruck für das Versagen – und die daraus resultierende Schande – ist die Flucht des Herrschers vom Schlachtfeld. So verwundert es nicht, wenn man in der mittelalterlichen Geschichtsschreibung immer wieder Darstellungen findet, deren Ziel es ist, die Flucht eines Königs schönzureden. Die byzantinische Prinzessin und Geschichtsschreiberin Anna Komnene († ca. 1153/54) erzählt in ihrem Geschichtswerk Alexias von der Regierung ihres Vaters, des Kaisers Alexios I. Komnenos († 1118). Dieser musste im Jahr 1081 eine vernichtende Niederlage bei Dyrrachion (Albanien) gegen die süditalienischen Normannen unter Robert Guiscard hinnehmen. Seine Tochter verwendet einige Mühe darauf, die Niederlage und die Flucht ihres Vaters so zu schildern, dass dessen Reputation nicht leidet. Im Gegenteil: Die Erzählung von einer spektakulären Flucht macht aus dem geschlagenen Herrscher einen erfolgreichen Helden, der sich seinen eigentlich überlegenen Häschern geschickt und mutig entziehen kann. Nach der Niederlage wendet sich der Kaiser auf seinem treuen Ross zur Flucht, Normannen verfolgen ihn und bedrängen ihn mit ihren Speeren von der linken Seite, sodass der Kaiser beinahe vom Pferd stürzt:
    |31| Die Vorsehung brachte einige Franken [gemeint sind die Normannen] auf seine rechte Seite, die ebenfalls ihre Speere erhoben. Indem sie ihre Waffen in seine rechte Seite stießen, richteten sie den Kaiser wieder auf. Denn die auf der linken Seite wollten ihn vom Pferd werfen, während die auf der rechten Seite ihre Speere gegen ihn richteten, als ob sie gegen die anderen Franken agieren wollten. So hielten sie – Speer gegen Speer – den Kaiser aufrecht. 9
    Alexios tötet noch etliche Normannen, bevor er dank der überlegenen Kraft seines Pferdes entkommt. Das hat mit einer Wiedergabe der Realitäten nicht mehr viel zu tun; hier ist Geschichtsschreibung in erster Linie Geschichtserzählung, die einen Helden vorstellen will, nicht aber vergangene Wirklichkeit abbilden.
    Bei einer Flucht vom Schlachtfeld hing immer der Vorwurf der Feigheit in der Luft. Das Idealbild des mittelalterlichen Kämpfers sah vor, seinen Mann auf dem Kampfplatz zu stehen, mit dem Gesicht und der Brust zum Feind:
    Niemand fiel dort mit abgewandtem Gesicht – dies ist ein Zeichen der Flucht – sondern dem Feind zugewandt. Ein jeder fiel an dem Platz,

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