Ritter und Raufbolde
Neuerung in der Waffentechnik dar. Erste Feuerwaffen kommen im frühen 14. Jahrhundert in Westeuropa zum Einsatz. Dabei handelte es sich um sogenannte ,Büchsen‘, die als Handbüchsen mit kleinerem Kaliber oder als großkalibrige Steinbüchsen gefertigt wurden, deren Bezeichnung sich von den als Munition verwendeten Steinkugeln herleitet. Während die ersten Büchsen geschmiedet wurden, kam schon im 14. Jahrhundert die Gusstechnik für Bronzebüchsen auf. Im Mittelalter kamen Feuerwaffen überwiegend bei Belagerungen zum Einsatz, da ihre Effizienz bei Feldschlachten begrenzt war. Noch waren Feuerwaffen nicht die dominante Waffenform, sondern wurden neben anderen Distanzwaffen – wie Bogen und Armbrust – benutzt.
Der Hunger als ,Waffe‘
Die vielleicht wichtigste Waffe bei der Belagerung eines befestigten Platzes war der Hunger der Belagerten. Gut befestigte Burgen konnten nur unter hohen Verlusten im Kampf genommen werden. Effizienter – aber auch sehr aufwendig – war es, die Besatzung von jeglicher Zufuhr abzuschneiden und so auszuhungern. Die vollständige Abschottung gerade einer größeren Stadt war jedoch schwierig. So gelang es etwa den englischen Truppen in den Jahren 1428 und 1429 nicht, die französische Stadt Orl ans vollständig einzuschließen und den Zuzug französischer Kontingente zu verhindern. Eine dieser Truppen wurde schließlich von einem Bauernmädchen in die Stadt geführt, welches das weitere Schicksal der französisch-englischen Auseinandersetzungen entscheidend prägen sollte: |67| Jeanne d’Arc. Das Auftreten dieser Frau war vielleicht ungewöhnlich, der lückenhafte Belagerungsring war es nicht.
Bei Belagerungen wurden die Verteidiger oftmals durch Aushungern zur Aufgabe gezwungen. Für zahlreiche Belagerungen sind uns Informationen über drastisch steigende Lebensmittelpreise überliefert, die ein deutliches Bild auf die Kriegsökonomie werfen und ihre Folgen für die Not leidende Bevölkerung zumindest erahnen lassen. Auch für die kämpfenden Truppen war der Hunger vielfach ein ständiger Begleiter: Jean le Bel berichtet zu einem englischen Kriegszug in Schottland im Jahr 1327, dass den Kämpfern als einzige Nahrung das am Sattel befestigte Brot geblieben sei, welches mit Pferdeschweiß durchnässt gewesen sei. 15
Ein gängiges Motiv im Zuge von Belagerungen war es auch, dass die Belagerten die nicht wehrfähigen – im militärischen Sinne also nutzlosen – Teile der Bevölkerung aus der Befestigung trieben. Auf diese Weise wollte man die Lebensmittelnachfrage in der Stadt reduzieren und gleichzeitig Druck auf die Belagerer aufbauen: Diese sahen sich zumindest mit der moralischen Forderung konfrontiert, diese Menschen zu versorgen. Das hätte aber die Balance zugunsten der Belagerten verschoben. Zumindest in der Theorie der kriegsrechtlichen Konventionen war es nicht denkbar, diese Menschen zu töten.
Auch an diesem Beispiel lässt sich jedoch zeigen, dass mittelalterliche Kriegsführer frei von moralischen Bedenken und ritterlichem Ethos ganz pragmatisch und militärisch logisch entscheiden konnten: Der englische König Heinrich V. verbot es seinen Truppen, die die Hauptstadt der Normandie, Rouen, belagerten (Juli/August 1418 bis Januar 1419), den aus der Stadt Vertriebenen Hilfe zu leisten. Zu Beginn der Weihnachtszeit sollen 12 000 Menschen aus der Stadt in die Gräben getrieben worden sein. Zwischen den Fronten gefangen, verhungerten |68| und erfroren diese Menschen, vor allem alte Männer, Frauen und Kinder. Zeitgenössische Quellen berichten, dass Heinrich gestattet habe, die im Graben geborenen Kinder zur Taufe in Körben heraufzuziehen – frisch getauft wurden sie dann wieder hinuntergelassen. Die Strategie des Aushungerns hatte letztlich Erfolg, und Rouen fiel an die Engländer.
Der Kriegszug
Mittelalterliche Heere waren nicht nur in Belagerungen und Feldschlachten aktiv, sie zogen auch übers Land – mit entsprechenden Folgen. Diese Kriegszüge nahmen sicherlich zeitlich einen sehr bedeutenden, wenn nicht den längsten Teil der mittelalterlichen Kriege ein. Sie dienten dabei zunächst dem Transport von Truppen und Tross von einem Ort zum anderen. Auch bei vergleichsweise kleinen mittelalterlichen Heeren bedeutete dies einen enormen logistischen Aufwand. Menschen, Waffen, Kriegsmaterial und Nahrung für Mensch und Tier mussten transportiert werden; Nahrung musste darüber hinaus aus dem Umland beschafft werden – entweder gegen Geld oder durch Gewalt –,
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