Rittermord
seinem Heiligenhäuschen schwer am Kreuz trug. Gnädigerweise spendeten ihm die Sonnenschirme des benachbarten Cafés etwas Schatten.
Rechts erhob sich, 1625-1727 von Jesuiten erbaut, ockergelb das städtische Gymnasium St. Michael. Hier stießen wir auch zum ersten Mal auf die Erft. Der Markt ging über in die Werther Straße mit dem Hotel Witten, das 1525 als Burg erbaut worden war. Weiter flußabwärts folgten das Apothekenmuseum sowie kurioserweise ein Briefkasten und eine Telefonzelle aus Großbritannien.
Sightseeing-Informationen, die ich mir mit Hilfe von Straßen- und Namensschildern, Gedenktafeln und Inschriften selbst beschaffte, denn Beate sagte keinen Ton.
Ich geriet daher prompt ins Stolpern, als sie unvermittelt fragte: »Trinken Sie einen Grappa mit mir?«
Fragend hob ich die Brauen und zeigte auf die Stühle, die vor dem Ristorante Pinocchio auf der Straße standen. Zum ersten Mal, seit wir uns vor zwei Stunden kennengelernt hatten, schmunzelte sie.
»Sie brauchen nicht auf Pantomime zu machen«, sagte sie. »So kategorisch war das vorhin nicht gemeint.«
Sie wählte ihren Platz so, daß mir die Sonne ins Gesicht schien. Zum Schutz meiner Spanielaugen hakte ich mir die Ray-Ban-Raubkopie hinter die Ohren, während sie bei einem umsatzschädigend mageren Kellner zwei Grappa und zwei Espresso orderte.
Die Getränke kamen, wir zuckerten und rührten ein Weilchen, und dann sagte sie: »Nun fragen Sie schon.«
Ich roch am Grappa. »Sie haben einen leichten Berliner Akzent. Sind Sie Berlinerin?«
»Gott bewahre, ich bin von hier. Ich hab nur drei Jahre in Berlin gelebt und eine Ausbildung als Visagistin gemacht. Da gewöhnt man sich so was an, um einheimisch zu wirken. Eigentlich hatte ich aber mit einer ganz anderen Frage gerechnet.«
»Die kann ich natürlich auch stellen«, sagte ich. »Warum haben Sie gekündigt?«
»Weil wir uns an dem Tag tierisch gestritten haben. Viel fehlte nicht, und wir wären aufeinander losgegangen.«
»Worum ging’s?«
Sie sah mich nicht an, sondern schaute zur Seite, wo hinter dem Mäuerchen die Erft gurgelte. »Vordergründig drehte sich der Streit um die Frage, ob er mich mit nach Satzvey nehmen würde oder nicht. In Wirklichkeit ging es darum, daß ich nicht länger seine Undergroundgeliebte sein wollte. Ich wollte, daß er sich endlich öffentlich zu mir bekennt.«
»Ziemlich albern, Sie haben doch zusammen gewohnt. So eine Liaison läßt sich vielleicht vor Freunden und Bekannten verheimlichen, nicht aber vor den Nachbarn.«
»Oh, da unterschätzen Sie aber Josefs taktisches Geschick. Sie werden in der ganzen Stadt niemanden finden, der uns das Haus gemeinsam betreten oder verlassen gesehen hat. Mein Name steht nicht auf dem Briefkasten oder auf dem Klingelschild. Und am Telefon mußte ich mich mit ›Hier bei …‹ melden.«
»Was ist mit Frau Lingscheid? Die hat er doch Ihretwegen rausgeschmissen.«
»Das stimmt so nicht. Sie hat von heute auf morgen mehr Geld verlangt, viel mehr, als Josef ihr zahlen konnte. Und auch mehr, als sie wert war. Sie hatte wohl darauf gesetzt, daß sie unersetzlich sei. Aber damit hatte sie sich überreizt.«
Im Gegensatz zu mir hatte Beate ihren Grappa nicht gekippt, sondern in kleinen Schlucken getrunken. Aber nun war auch ihr Glas leer.
»Noch einen?« fragte ich.
»Für mich nicht. Aber ich nehm noch einen Espresso.«
Nachdem ich den Nachschub bestellt hatte, fragte ich: »Sie waren also weniger geldgierig und mit dem normalen Tariflohn zufrieden?«
»Tarif, was ist das? Wir hatten einen Betrag vereinbart, aber auch den mußte er mir schuldig bleiben. Ich hab das nicht so eng gesehen.« Ihr liefen die Tränen. »Ich wollte den Mann, nicht den Job.«
Ich half ihr mit einem Papiertaschentuch aus und wartete, bis sie sich gefangen hatte. »Sie sagten ›schuldig bleiben mußte‹. War er in wirtschaftlichen Schwierigkeiten?«
»Na ja, Genaues hat er mir nie gesagt, aber so war es wohl. Der Umsatz war zwar ganz ordentlich, aber trotzdem hat es vorne und hinten nicht gereicht. Und das schon seit geraumer Zeit. In der Situation kommt dann die Lingscheid und fordert doppelten Lohn.«
Die Sonne verschwand, und ich setzte die Brille ab. Gina hatte Frau Lingscheid als treue Seele bezeichnet. Irgendwie paßten die zwei Charakterisierungen nicht zusammen.
»Sie sind ’n Bulle, stimmt’s?« fragte Beate plötzlich.
»Es gibt auch andere Leute, die ’n Haufen Fragen stellen.«
»Ich seh’s an Ihren Augen. Mein Vater
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