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Ritualmord

Titel: Ritualmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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in Tasmanien, auf den Bermudas und den Hebriden, Leute, die ihre Beiträge mit »Taucher tun es tiefer« unterzeichneten, Leute aus den verschiedensten Zeitzonen - sie alle beteiligten sich an der Diskussion und bereicherten sie mit ihren eigenen Erfahrungen. Manchmal blieb Flea die halbe Nacht auf und verfolgte die Diskussionen in den Foren; sie hoffte immer, dass Mum und Dad erwähnt wurden und es mehr als nur technische Theorien gab. Es gefiel ihr, wenn sie Mum »Jill« und Dad »David« nannten, statt nur von »den Marleys« zu sprechen, und sie suchte in den vielen Informationen nach irgendeiner Erwähnung dessen, was die beiden gewesen waren, bevor sie zu weltberühmten Opfern eines Höhlentaucherunfalls wurden.
    Bei DiveNet, einer der größten internationalen Taucher- Websites, scrollte sie zu den Trimix-Foren hinunter; Mum und Dad hatten Trimix benutzt, um auf hundertfünfzig Meter zu tauchen - eine kontroverse Methode, die immer Anlass zu Diskussionen gab. Manchmal sprachen die Leute hier auch über Bushman's Hole, und vielleicht gab es jemanden, der die Form des Lochs kannte, den Abhang, den sie in ihrer Halluzination gesehen hatte.
    Kaum war sie im Forum eingeloggt, stellte sie fest, dass es hier mehr Aktivität gegeben hatte als sonst: In den letzten zwei Tagen waren fünfzig neue Postings eingegangen. Normalerweise kamen nicht mehr als fünf oder sechs pro Tag. Offenbar war jemand in eine besonders schwierige Höhle getaucht und ließ sich jetzt auf die Schulter klopfen. An die andere Möglichkeit wollte sie nicht denken: dass wieder jemand sein Leben verloren hatte wie ihre Eltern.
    Sie scrollte herunter, während sich die Härchen an ihren Unterarmen sträubten, navigierte die Maus auf den ersten Thread und klickte wieder. Ihr Herz klopfte wie wild, als der Beitrag den Bildschirm ausfüllte. Sie las ihn einmal, und als sie 

    begriff, dass sie sich nicht geirrt hatte, schob sie die Maus beiseite und starrte fassungslos auf den Computer, ohne etwas zu sehen oder zu fühlen. Es war unmöglich. Unmöglich.
    Es dauerte eine Weile, bis ihr klar wurde, dass das Telefon klingelte. Wie betäubt nahm sie den Hörer ab.
    »Hallo«, sagte eine Stimme. »Hallo.«
    Flea beugte sich vor und klickte auf den nächsten Beitrag im Thread. Die Frau am Telefon redete, aber Flea hörte nicht zu; wie gebannt saß sie vor dem Monitor und las den nächsten und den übernächsten Beitrag. Ihr Herz pochte so laut, dass es im Kopf wehtat.
    »Hey, Flea? Bist du da? Mandy hier. Flea?«
    Langsam drückte Flea den Telefonhörer fester ans Ohr, ohne den Blick vom Bildschirm zu wenden. »Mandy?«, sagte sie matt. »Ja. Ich bin hier.«
    »Du klingst komisch.«
    »Nein...«
    »Atemlos.«
    »Nein...«
    »Gut. Kann ich dann mit deinem Bruder sprechen?«
    »Mit meinem Bruder?«
    »Ja, Flea, mit deinem Bruder. Thom? Du erinnerst dich an ihn?«
    Da fiel ihr alles wieder ein. Die Verabredung. Thom und ihr Auto.
    »Flea? Ist er da?«
    »Äh, ja. Natürlich ist er - äh - da.«
    »Kann ich ihn dann sprechen?«
    »Nein. Er ist - er ist im Garten.«
    »Er hat sein Handy abgeschaltet.«

»Oh«, sagte Flea leise. »Tatsächlich?«
    »Ja.« Kurze Pause. »Flea, Schätzchen, geht's dir gut?«
    »Ja.«
    »Hört sich aber nicht so an.« 

    »Doch, doch.«
    »Dann ruf Thom jetzt mal ans Telefon, ja?«
    »Nein.«
    Wieder eine Pause. Mandy atmete tief ein und fragte dann ziemlich leise: »Nein? Hast du >Nein< gesagt?«
    »Ich kann nicht. Er ist...« Sie schaute über die Schulter zu den geschlossenen Vorhängen. »Er ist ganz unten. Unten am See.«
    »Am See?«
    »Da wächst ein Wacholderbusch - der ist, weißt du... Er stutzt ihn für mich zurecht. Ich... ich werde ihm ausrichten, dass er dich anrufen soll, wenn er zurückkommt.«
    Bevor Mandy noch etwas sagen konnte, legte Flea den Hörer auf, lehnte sich zurück und blickte starr auf den Bildschirm. Die Worte brannten sich in ihre Augen. »Mum?«, murmelte sie. Sie umklammerte die Maus und beugte sich langsam vor. » Mum ?«
    Ben Crabbick und Andy Pearl waren in den Zwanzigern und tauchten seit ihrer Kindheit. Zwei gesundheitsbewusste Australier von der Westküste, immer auf der Suche nach dem extremen Kick, waren sie in fast jede Höhle getaucht, die der Menschheit bekannt war, und zusammen hatten sie fünfhundert Trimix-Stunden absolviert. Einmal, in der berüchtigten John's Pocket, hatte Crabbick sich mit seinem Atemgerät in einem kleinen Loch, nur fünfzehn Meter tief unter der Oberfläche,

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