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Ritualmord

Titel: Ritualmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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sage.«
    Aber statt zu antworten, löste Crabbick sich von ihm und nahm Kurs auf den Grund. Es ging ganz schnell: Gerade noch da, war er im nächsten Moment auch schon in der Dunkelheit verschwunden, und Pearl sah nur noch im Schein der Lampe eine Flosse.
    »Ben? Ben, du Arschloch!«, schrie er. »Stopp! Stopp\«
    Pearl blieb ungefähr zwanzig Sekunden, wo er war. Sein Herz pochte, sein Atem klang immer gepresster in seinen Ohren, und sämtliche Regeln, die er gelernt hatte, rasselten ihm durch den Kopf. Tauche niemals über deine eigenen Grenzen hinaus, um einen anderen Taucher festzuhalten - nicht einmal, um ihm das Leben zu retten. Dieses Gesetz war in Stein gemeißelt. Man überanstrengt sich, man vergisst, Gasmischung und Tauchcomputer im Auge zu behalten, und am Ende gibt es wahrscheinlich nicht einen Toten, sondern zwei. Man muss sie gehen lassen. Das wusste Pearl, aber Crabbick war sein bester Freund. Sie hatten zusammen die Highschool besucht, und seinen Freund ließ man nicht so einfach im Stich. Seine Atmung wurde immer mühsamer. Das Blut in seinen Arterien fühlte sich an, als wäre es durch den Druck dickflüssiger geworden. Dann dachte er, wenn Crabbick den Grund erreichte und noch bei Bewusstsein wäre, hätte er die Möglichkeit ihn davon zu überzeugen, dass das Unternehmen erfolgreich gewesen war, und sie könnten wieder aufsteigen.
    Vielleicht hatte Pearl recht in der Annahme, dass er es zum Grund schaffen und trotzdem die zwölfstündige Plackerei ertragen könne, einen Freund nach oben zu schleppen. Doch als er den Grund erreichte, konnte er Crabbick nicht finden. Er 
    gab sich genau dreißig Sekunden Zeit zum Suchen, nicht einen Sekundenbruchteil länger, aber er fand den Freund nicht mehr. Auf dem Boden des Sinklochs war es dunkel, und den Schlick unter seinen Füßen zu spüren, versetzte Pearl einen solchen Schock, dass er in den ersten zehn Sekunden Schwindel verspürte. Aber auch als der vorüber war und die Übelkeit nachließ, blieb er desorientiert. Der Strahl seiner Lampe irrte über die gespenstische Unterwasserlandschaft und lang gestreckte Sanddünen, die leer waren, so weit der Lichtstrahl reichte. Und keine Spur von Crabbick.
    Ihm war schlecht, und sein erschöpftes Herz pochte heftig, als er über die Leine signalisierte, dass er heraufkam.
    Es war, schrieb er im DiveNet-Forum, der schlimmste Augenblick seines Lebens.
    37
    17. Mai
    Das Schwerste dabei war, ihn stillzuhalten.« Der Walking Man ließ sich mit hochgezogenen Knien nieder und umfasste einen Becher heißen Cider mit seinen schmutzigen Händen. »Erst hab ich versucht, ihn an einen Stuhl zu fesseln, aber das reichte nicht, das sah ich gleich.« »Und was haben Sie da gemacht?« »Klebstreifen.«
    »Ach ja, der Klebstreifen. Davon hab ich im Bericht gelesen. Paketkleber, stimmt's?« Caffery drehte sich auf die Seite und stützte den Kopf auf die Hand. »Paketkleber mit der Aufschrift >Vorsicht zerbrechlich<. Das hat ja sogar in der Zeitung gestanden. Sie waren entzückt von diesem Detail.«  

    Der Walking Man grunzte. »Ich hab das Zeug nicht genommen, weil so was draufstand, sondern weil es da war.«
    »Und dann haben Sie ihn mit Klebstreifen an den Stuhl gebunden.«
    »Aber das war auch nichts. Ich konnte nicht an ihn rankommen. Dann fiel mir ein, dass da ein Bügelbrett in der Garage an der Wand lehnte. Ich machte die Beine ab und klebte ihn darauf fest. Dazu musste ich ihn natürlich noch mal k.o. schlagen.«
    »Aber das hat funktioniert?«
    Der Walking Man lächelte. »O ja, das hat funktioniert. Ich hab das Ding auf die Werkbank gelegt, und es hat tadellos funktioniert.«
    Caffery war halb zufällig auf das Lager des Walking Man gestoßen. Er hatte einen Corporal aus Broadbury als Babysitter mit Mabuza nach Hause geschickt und war dann vom Büro geradewegs zu einem der Mädchen in der City Road gefahren.
    Es hatte nicht lange gedauert, und danach fühlte er sich eher schlechter als besser. Er dachte dauernd an das, was der Walking Man gesagt hatte: Sie suchen den Tod. Auf seinem Weg nach Hause, während die Sonne unterging, die ersten Sterne zu funkeln begannen und Bristol im Rückspiegel zu einem orangegelben Dunst verblasste, fragte er sich, ob da was dran sei.
    Er suchte nicht bewusst nach dem Lager, aber er wollte nicht nach Hause; also fuhr er weiter in Richtung Osten, fast bis Wiltshire. Er nahm Straßen, die er nicht kannte, und auf einer schmalen Abzweigung in der Nähe der A36 südlich von Bath

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