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Ritualmord

Titel: Ritualmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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eingeklemmt. Pearl hatte ihn zwanzig Minuten lang an seinem Gerät atmen lassen, während sie versuchten, ihn freizubekommen. Weil sie in Panik gerieten, hatten sie ihre Luft bis auf die letzten fünf Bar verbraucht, als sie wieder an die Oberfläche kamen. Aber selbst dieses Erlebnis, berichtete Pearl jetzt im DiveNet-Forum, sei nichts im Vergleich zu dem, was soeben in Bushman's Hole passiert sei.
    Pearl war online in Danielskuil, in der Stadt, die Bushman's 

    Hole am nächsten lag. Er saß wohlbehalten und trocken mit einem Bier in der Hand vor dem Computer, und nachdem die Aufregung sich gelegt hatte, erzählte er seine Geschichte einem begierigen Publikum, das ihn mit Fragen überschüttete. »Crabbick und ich sind schon seit Jahren verrückt nach Bushman's«, schrieb er. »Als ob das Ding Pheromone verströmt, ja? Als ob all die armen Schweine, die da gestorben sind, uns andere anziehen.« Anders, meinte er, könne man sich nicht erklären, warum Taucher sich immer wieder in diesen tückischen, endlosen Wassertrichter hinunterwagten.
    Pearl und Crabbick hatten in Westaustralien Sponsoren für dieses Tauchunternehmen aufgetrieben. Pearl trug ein »Suun- to«-Logo auf seinen Flaschen, und Crabbicks Anzug hatte blauweiße Blitze auf den Armen und auf dem Rücken: das Firmenzeichen eines australischen Breitbandproviders. Jede Minute, die sie in einer Tiefe von über dreihundert Metern verbrachten, verlängerte die Aufstiegszeit um Stunden, und mit jeder Sekunde vergrößerte sich die Gefahr einer Narkose. Deshalb hatten sie vereinbart, zwanzig Sekunden auf dem Grund zu verbringen, gerade lange genug, um einander und ihre Logos zu fotografieren; das genüge, um den Tauchgang zu rechtfertigen. Pearl blieb besonnen genug, um sich an den Tauchplan zu halten. Crabbick, der weniger erfahren war, erwies sich als weniger robust.
    Sie waren auf zweihundertfünfzig Metern, als Pearl der Verdacht kam, dass mit seinem Tauchkameraden etwas nicht stimmte. Crabbick klagte über ein Wah-wah-Geräusch in seinem Helm, und Pearl befürchtete, dieses Geräusch könne bedeuten, dass sich immer noch Stickstoff in Crabbicks Gasmischung befand und sich die ersten Anzeichen einer Narkose einstellten. Er war enttäuscht. Mit einer Narkose konnte er Crabbick nicht allein aufsteigen lassen, auch wenn der Tauchgang damit gescheitert war. Einen kurzen Moment lang hasste er seinen alten Freund. Aber er wusste, was sie tun mussten. 

    »Hey«, sagte er in sein Unterwassermikrofon. »Lass uns aufsteigen.«
    »Nein«, drang ihm die Antwort ins Ohr.
    »Doch«, sagte Pearl. Es war stockfinster da unten, und er leuchtete mit der Lampe auf Crabbicks Brust, um ihn nicht zu blenden. »Wir kehren um.«
    Er richtete den Lichtstrahl nach oben in die Dunkelheit und rechnete kurz: Der erste Rettungstaucher würde zu den Stage-Flaschen in hundert Metern Tiefe herabgekommen. Das nächste menschliche Wesen wäre also hundertfünfzig Meter über ihnen. Für diese Strecke würden sie mit den richtigen Dekompressionspausen fast eine Stunde brauchen. Pearl würde Crabbick an die Sicherungsleine haken und ihn beim Aufstieg dort festhalten. Er wollte nicht zurück, aber er wusste, dass er körperlich noch fit genug war, um sie beide nach oben zu bringen. Wenn sie sofort mit dem Aufstieg anfingen. »Wir brechen ab, Ben.«
    »Nein. Will ganz nach unten.« Crabbick sprach mit schwerer Zunge. Noch ein Zeichen für Narkose. Seine Gasmischung war eindeutig nicht in Ordnung. »Hat doch sonst keinen Sinn.«
    »Sorry, Ben, keine Diskussionen.«
    Pearl wandte sich nach oben, als eine starke Hand ihn entschlossen am Arm packte. Er hob die Lampe und sah Crabbicks Gesicht unter der Maske, nur eine Handbreit vor ihm, die Pupillen geweitet. Er schüttelte den Kopf, er sprach nicht, sondern starrte seinen Freund an, als wäre er ein Fremder. Pearl schrieb im DiveNet-Forum, er habe in die Augen eines Besessenen geblickt. Wenn jemand ihm erzählte, dass auf dem Grund von Bushman's Hole ein Teufel lauerte, der darauf wartete, in den Kopf des Tauchers zu fahren, der sich dort hinunterwagte, dann würde er es glauben - allein wegen des Ausdrucks in Crabbicks Augen.
    »Ben. Hör mir zu. Ich bin's, Andy. Kennst du mich? Ich 
    bin Andy, und ich sage dir jetzt, dass wir umkehren. Und du sagst immer nur Ja.« Er schüttelte Crabbick in Zeitlupe; bei der Bewegung legte sich Druck auf seine Ohren, und ihm wurde schwindlig. »Du sagst immer Ja, und du kehrst immer um, wenn ich es

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