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Ritualmord

Titel: Ritualmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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gesehen, auf einem Sims über dem Grund.«
    Sie kratzte sich am Kopf und versuchte sich vorzustellen, was Crabbick da gesehen hatte. Sie hörte das Geräusch der Atemgeräte, sah den einsamen Lichtstrahl der Lampe und eine skelettierte Hand, die dort unten aus dem wirbelnden Sand auftauchte. Mum und Dad, auf den Flanken von Bushman's Hole. Irgendwo, das erkannte sie jetzt, hatte in ihr ein kleines Licht der Hoffnung gebrannt, dass sie diesem Unfall entkommen seien, dass Thom, die Rettungstaucher und das Ibogain sich geirrt und sie einen Weg aus Bushman's Hole hinausgefunden und sich irgendwo in Sicherheit gebracht hätten.
    Sie wollte etwas schreiben, sie wollte Fragen stellen: Ist Crabbick sicher, dass es die Marleys waren? Hat er ein Foto gemacht? Hast du irgendeine Ahnung, welches ihre Koordinaten sind? Und das Wichtigste: Wie weit ist es von dem Sims bis zum Grund? Fünf Meter? Zehn Meter?
    Aber Pearl würde darauf nicht antworten können. Das sah sie an seinen Reaktionen auf die anderen Fragen. Crabbick lag noch im Krankenhaus und konnte nicht sprechen. Wir sollten den Jungen in Ruhe lassen, schrieb er, als jemand im Forum um weitere Informationen bat. Gebt ihm Zeit, sich zu erholen, zumindest bis er seinen Arsch aus dem Krankenhaus bewegen kann. Dann können wir ihn fragen.
    Sie sah die einzelnen Postings durch und versuchte herauszufinden, wann das alles passiert war. Der erste verworrene Bericht darüber, dass man sie gefunden hatte, war zwei Tage alt. Seit zwei Tagen stand es für jedermann zugänglich im Netz, und sie hatte es nicht gewusst, aber irgendwie geträumt, dass Mum sie davor gewarnt hatte. Diesmal werden sie uns finden.
    Sie rieb sich die Arme; plötzlich fror sie. Es war nicht möglich, oder? Erinnerungen aufdecken, Gedanken, die sie niemals ausgesprochen hatte - ja. Aber tatsächlich mit den Toten zu sprechen? War es da nicht wahrscheinlicher, dass sie irgend 
    wann in den letzten zwei Tagen dieses Forum besucht und es dann wegen des Ibogains vergessen hatte? Sie zwang sich, in ihren Erinnerungen zurückzugehen: Kaiser hatte den Computer benutzt; sie erinnerte sich, dass er auf der Tastatur geklappert hatte. Hatte er irgendwann das Haus verlassen, und war sie, einem Instinkt folgend, aufgestanden und auf die DiveNet- Website gegangen? Kaiser, dachte sie, als der Mond über der Zypressenreihe aufstieg, Kaiser, was würdest du sagen? Wenn ich dir erzählte, ich habe mit den Toten gesprochen, was würdest du dann sagen?
    Sie nahm ihr Handy und wählte seine Nummer. Abends um diese Zeit war er meist noch mit seinen Anbauten beschäftigt und hämmerte Nägel ein, und oft hörte er das Telefon nicht. Also ließ sie es dreißigmal klingeln und zählte im Geiste mit, aber er meldete sich nicht. Sie legte auf und holte Thoms Auto- schlüssel, um mit seinem Wagen hinzufahren. Während sie sich die Jacke anzog, fiel ihr ein Satz ein: Sie glauben, sie reden mit den Toten, weil sie sich irgendwelchen Scheiß in den Arm spritzen...
    Tig, dachte sie. Wie ist es mit dir? Was würdest du denken? Sie wählte seine Nummer. Er meldete sich nach dem sechsten Klingeln und klang atemlos.
    »Ja«, sagte er und schluckte, um seinen Atem zu beruhigen. »Ja, was?«
    »Tig.« Sie zog den Reißverschluss ihrer Jacke zu. »Mir ist was Unheimliches passiert.«
    Einen Moment lang war es still; dann schniefte er. »Bin froh, dass du anrufst«, sagte er knapp. »Bin froh, weil du gesagt hast, du würdest es tun. Ist immer schön zu sehen, wenn du tust, was du gesagt hast.«
    Sie zögerte verdattert. Hatte sie versprochen, ihn anzurufen? Dann erinnerte sie sich: Das Letzte, was er nach dem Besuch bei Mabuza gesagt hatte, war: »Bitte ruf an.« Und sie hatte gesagt: »Ich versprech's.«  

    »Ich hab schon gewartet.« Sie hörte, wie Tig am anderen Ende hin und her ging und mit irgendetwas klapperte, als wäre er in der Küche. »Und jetzt rufst du an. Das ist gut, will ich nur sagen. Respektvoll.«
    Ratlos ließ sie den Reißverschluss los. »Es tut mir leid.«
    »Wie geht's deinem Bullenfreund? Gestiefelt und gespornt, auf der Suche nach ein bisschen Action?«
    »Was?«
    Tig lachte. »Er mag seine Mädels gern gefügig, wenn du weißt, was ich meine.«
    »Nein, ich weiß nicht, was du meinst.«
    »Frag ihn doch mal, ob er sich gut eingelebt hat. Frag ihn, ob er vielleicht einen Fremdenführer braucht, der ihm die City Road zeigt.«
    »Tig, bitte. Ich hab dich angerufen, weil ich dich brauche - weil ich dich wirklich brauche.

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