Ritualmord
Buntglasscheibe. Flea starrte sie ausdruckslos an.
»Bitte sprich mit ihm«, erklärte Thom aufgeregt. »Bitte, bitte, Flea, mach, dass er weggeht. Ich werde dich nie wieder um einen Gefallen bitten, das verspreche ich dir.« Er packte sie am Arm. »Bitte«, zischte er voller Angst. »Mach, dass er uns in Ruhe lässt. Schnell.«
Im Arbeitszimmer klingelte erneut das Telefon. Wahrscheinlich Mandy. Der Polizist draußen klopfte und klingelte ein zweites Mal. Flea schloss die Augen und zählte bis zwanzig, um so etwas wie Ruhe in ihren Kopf zu bringen. Dann atmete sie tief durch und strich sich das Haar hinter die Ohren.
»Es ist okay«, sagte sie. »Geh nach oben.«
»Es tut mir so leid.« Jetzt weinte er wieder. »Es tut mir wirklich leid.«
Sie schob ihn zur Treppe; das ging mühelos, denn sie war immer schon viel stärker gewesen als er. »Geh ins hintere Zimmer. Tu, als ob du schlafen würdest.«
Es klingelte wieder, und der Polizist legte eine gewölbte Hand an die Scheibe, um hereinzuspähen. Sie wartete, während Thom mit hängendem Kopf die Treppe hinaufstieg. Die Sohlen seiner billigen Schuhe waren lehmig und abgetreten. Dann ging sie mit klopfendem Herzen zur Tür und öffnete.
Es war einer der Jungs von der Verkehrspolizei aus ihrem Gebäude in Almondsbury. Sie erkannte ihn sofort; manchmal plauderten sie am Süßigkeitenautomaten, wo er sich Mars-Riegel zog. Er wirkte gedrungen und hatte schütteres Haar; Geheimratsecken malten ein dunkles V auf seinen Schädel. Prody hieß er - oder so ähnlich -, aber alle nannten ihn nur den Autobahnaffen, denn am liebsten legte er sich mit den jugendlichen Rasern auf der M5 an.
»Hören Sie«, sagte er, und an der Art, wie er atmete, erkannte sie, dass er versuchte, sich zu beruhigen. Zwischen den einzelnen Worten musste er innehalten. »Ich würde das ja nicht machen, aber als ich die Halteranfrage schließlich durchgekriegt hatte und wusste, dass Sie das sind, war ich so aufgedreht,
dass ich einfach an Ihnen dranbleiben musste, und...« Er brach ab und starrte sie ungläubig an. »Sie haben nicht angehalten. Warum haben Sie nicht angehalten?«
Flea stand ganz still da und versuchte, den Sinn des Ganzen zu erfassen. Hinter ihm sah sie den silbernen Ford Focus, hastig mit dem Heck im Gebüsch geparkt; das Verandalicht spiegelte sich in der Frontscheibe. Der Streifenwagen stand mit der Nase dicht vor dem Wohnzimmerfenster; die Fahrertür war weit offen. Sie fragte sich, wie viel er von ihr und Thom gesehen haben mochte.
»Ich war... ich hatte es eilig.« »Eilig?«
»Ja, ich meine, Sie wissen schon, die alte Ausrede...« Sie deutete auf die offene Toilettentür. Dahinter brannte Licht. »Ich musste wirklich dringend... Sie wissen schon. Das ist keine Entschuldigung, aber...«
»Dann sind Sie gefahren? Das waren Sie?« Er wischte sich über die Stirn. »Ich konnte Sie von hinten nicht sehen, aber ich hatte das Gefühl, da sitzt jemand anders - so, wie Sie um die Kurven gebrettert sind. Haben Sie mich denn nicht bemerkt? Wir hätten uns beide umbringen können.«
Eine Weile herrschte Stille. Er musterte sie, wirkte nervös, und sie wusste, dass er wütend war. Sie versuchte, ihren Gesichtsausdruck zu neutralisieren, stellte sich vor, wie sich hinter ihren Augen ein Schleier herabsenkte und die Lügnerin dort verbarg. Sie konzentrierte sich auf das V über seiner Stirn und sah in Gedanken, wie sie mit ihren Augen ein Loch hineinbohrte.
»Es tut mir leid«, sagte er, »aber ich muss jetzt nach Vorschrift verfahren.«
»Nach Vorschrift ? Aber ich bin...«
»Es gibt jetzt einen Vorgang, wissen Sie? In der Zentrale. Die haben Ihre Daten, die wissen, dass Sie wegen rücksichtslosen Fahrens aufgefallen sind, und jetzt sind sie auf Standby.
Wenn ich jetzt hingehe und das alles wieder abblase nach dem, was ich gemeldet habe, sieht das ziemlich komisch aus.«
Seufzend schaute sie hinauf zu den Sternen und dachte, es hört einfach nicht auf. »Scheiße.« Sie trat zurück, hielt die Tür auf und öffnete den Reißverschluss ihrer Jacke. »Okay. Dann kommen Sie rein.«
39
17. Mai
Flea stand in der vollgestopften kleinen Küche, umgeben von lauter vertrauten Dingen, und versuchte sich zu beruhigen. So viele Gedanken gingen ihr durch den Kopf. Wieso stellte Kaiser sich nur so dämlich mit seinem Telefon an? Kaiser , dachte sie, ich muss mit dir sprechen.
Das Wasser kochte. Sie goss es in die Teekanne und fragte sich, wie weit es Thom gelungen war, Prody
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