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Ritualmord

Titel: Ritualmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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Es tut mir leid, dass ich nicht schon früher angerufen habe, aber bitte sprich mit mir wie ein Mensch. Nicht in irgendeinem Code. Oder lass uns aufhören zu reden, und wir versuchen es ein andermal. Ich bin auf dem Sprung.«
    Einen Moment herrschte Schweigen, dann schnaubte er. »Okay«, meinte er leichthin. »Wir reden ein andermal.« Und bevor sie etwas sagen konnte, hatte er aufgelegt.
    Sie starrte auf das Handydisplay und konnte es nicht fassen: Er hatte aufgelegt. Fuck, fuck, fuck. Sie rief seine Nummer auf und schrieb auf ihre umständliche Art eine SMS. Sie war halb fertig, als das Festnetztelefon auf dem Tisch klingelte. Sie fuhr zusammen, steckte den Schlüssel ein und nahm den Hörer ab.
    »Kaiser?«
    »Nein. Mandy. Was ist los?«
    »Mandy.«
    »Ja, Mandy. Hör mal, Flea, ich hab den ganzen Abend versucht, ihn anzurufen. Entweder hat er sein Telefon abgeschaltet, 
    oder er nimmt meine Anrufe nicht an. Ich muss mit ihm sprechen.«
    Flea kratzte sich energisch am Kopf und dachte nach. »Moment mal.« Sie legte den Hörer auf den Tisch und ging in die Diele. Es war stockdunkel. Sie hatte nicht gemerkt, dass es schon so spät geworden war. »Thom?«, rief sie in die Dunkelheit. »Thom? Wo bist du?« Sie wartete und zählte im Kopf bis fünfzig. Dann ging sie zum Telefon zurück. »Mandy, er meldet sich nicht, muss im Schuppen sein oder so was. Ich sage ihm...«
    »Im Schuppen? Es ist kurz vor elf; da draußen ist es stockdunkel. Warum belügt er mich?«
    »Er lügt nicht.«
    »Bist du da sicher? Denn wenn er mich belügt, bringe ich ihn um.« Flea holte Luft, um zu antworten, aber Mandy sprach weiter. »Das meine ich ernst«, sagte sie. »Ich bringe ihn um, wenn er mich belügt.«
    Flea richtete sich auf und schaute hinaus in die Dunkelheit, in den Garten, in dem sie und Thom als Kinder gespielt hatten. Irgendetwas zerriss in ihrem Kopf. »Weißt du was, Mandy?«, sagte sie eisig. »Verpiss dich, und lass ihn in Ruhe. Er wird dich anrufen, wenn er Lust dazu hat.«
    Sie legte auf. Ihre Hände zitterten, und ihre Gedanken überschlugen sich. Sie wühlte die Schlüssel wieder aus der Tasche und war auf dem Weg zur Tür, als Autoscheinwerfer das Wohnzimmer mit ihrem Licht erfüllten. Sie ging ins Nebenzimmer und zog den Vorhang beiseite: Der Focus kam die Zufahrt herauf und fuhr um das Haus herum nach hinten. Thom. Endlich.
    Jetzt fühlte sie sich schwach. Sie ging zur Hintertür und schloss sie auf. Sie hatte ihm so viel zu sagen, dass sie nicht wusste, wo sie anfangen sollte.
    Es fiel ihr nicht gleich auf, dass etwas nicht stimmte, obwohl sie sah, wie schnell der Wagen die Zufahrt entlangfuhr. Selbst 
    als sie beobachtete, wie er den Kies beim Wenden aufspritzen ließ, den Rückwärtsgang einlegte und hastig unter einen ausladenden Wacholderbusch zurücksetzte, kam sie nicht auf den Gedanken, dass etwas nicht in Ordnung sein könnte. Sie dachte nur an das, was sie im Netz gesehen hatte. Erst als er an ihr vorbei ins Haus stürmte, sich die Jacke herunterriss und auf die Toilette lief, begriff sie, dass er weinte.
    Sie blieb in der Tür stehen und verfolgte, wie er den Wasserhahn aufdrehte, sein Gesicht darunterhielt und nach Luft schnappte. Er zitterte am ganzen Körper. Hinter sich hörte sie ein zweites Auto, und ein zweites Paar Scheinwerfer schwenkte um das Haus herum.
    »Das ist die Polizei.« Er richtete sich auf, nahm ein Handtuch vom Regal und rieb sich die Augen damit. »Die Polizei.« Er schniefte. »F-folgen mir seit der A 36.«
    Flea sah am Scheinwerferlicht, dass der Wagen vor der Hintertür angehalten hatte. »Die Polizei?«, murmelte sie, als hätte sie dieses Wort noch nie gehört. Es klang so unwirklich. »Was wollen die denn?«
    »Scheiße!« Thom knüllte das Handtuch zusammen und presste es fest an die Augen.
    »Thom?« Langsam kehrte ihr Denkvermögen zurück. »Thom, was war...?« Sie packte das Handtuch und riss es herunter. Sein Gesicht war rot verquollen, seine Augen waren blutunterlaufen, und sein Atem roch sauer. »Mein Gott, Thom.« Er wollte sich beschämt abwenden, aber sie hielt ihn am Handgelenk fest, und er musste sie ansehen. »Thom, wie viel hast du getrunken? Du stinkst danach. Bist du bescheuert?«
    »Es tut mir leid. Es tut mir leid.« Verzweifelt drehte er den Kopf hin und her. »Es ist einfach schiefgegangen - alles verdammt schiefgegangen...«
    In der Diele hinter ihnen klingelte es an der Tür. Man erkannte eine dunkle Gestalt, unscharf und verzerrt vor der

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