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Ritualmord

Titel: Ritualmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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schneiden. Auch nicht schwierig. Ich hab das Bügelbrett zurückgekippt und einen Holzblock auf seine Schenkel gelegt, auf den ich mich stützen konnte. So war der Winkel besser. Ich hatte ein Sägemesser, das ich dazu benutzt hab. Der Holzklotz hat das Blut aufgesaugt.«
    Lange Zeit sprach keiner ein Wort. Man hörte nichts, nur den fernen Verkehrslärm auf der A36 und gelegentlich ein Auto, das unten auf der Straße vorbeifuhr. Caffery lag so still wie möglich und badete seine Augenlider im Mondlicht. Er sah Penderecki vor sich, so fest mit Paketkleber umwickelt, dass man nur Gesicht und Geschlechtsteil erkennen konnte. Der Boden und das Brett waren nass von Blut. Er hätte es im Hinterzimmer getan, in einem von denen, die auf das Bahngleis hinausgingen, denn dort war Ewan zuletzt gesehen worden. Sicher hatte er sein Zuhause im Blick gehabt, die brennenden Lichter, die Orte, an denen sie als Kinder spielten. Caffery war nicht ganz sicher, aber vermutlich hätte er es auch - wie der Walking Man - auf Video aufgenommen.
    »Warum haben Sie ihn gekreuzigt?«
    »Warum ich ihn gekreuzigt habe?« Der Walking Man lachte hohl. »Das, Polizist, ist eine Sache zwischen ihm und mir.«
    »Es ist merkwürdig.«
    »Ja«, entgegnete der Walking Man gelassen. »Es ist auch merkwürdig, dass ein erwachsener Mann ein achtjähriges Mädchen vergewaltigt. Dass er sie viermal in drei Stunden vergewaltigt und sie umbringt, als er fertig ist.«  

    Caffery öffnete die Augen. Der Walking Man saß unverändert da, hielt seinen Ciderbecher mit beiden Händen umfasst und blickte starr zum fernen Horizont. Ein metallischer Geschmack lag auf seiner Zunge, als er sich fragte, ob der Walking Man den Tod seines einzigen Kindes sehen konnte, ohne die Augen zu schließen. Er selbst hatte Ewans Tod immer sehen können. Warum also sollte es bei dem Walking Man anders sein?
    »Und?«, fragte er nach ein, zwei Minuten, als er sicher war, dass seine Stimme nicht zittern würde. »Was dann?«
    »Dann hab ich den Krankenwagen gerufen.«
    »Auf dem Band klangen Sie ganz ruhig. Die Staatsanwaltschaft sagt, Sie hätten gesprochen, als wäre nichts passiert.«
    »Stimmt.«
    »Und Evans habe im Hintergrund geschrien.«
    »Ja. Er hat geschrien. Wissen Sie, was er geschrien hat? Auf dem Band war es nicht zu hören, und im Prozess kam es nie zur Sprache - aber wissen Sie, nach wem er geschrien hat?«
    Caffery zögerte. Er schloss erneut die Augen und zog sich tief in sein Inneres zurück. Irgendwo in der Brust spürte er einen Sog - da, wo die Wahrheit wohnte. »Ich weiß es nicht, aber ich glaube...«
    »Sie glauben...?«
    »Ich glaube, nach seiner Mutter.«
    Im Dunkeln atmete der Walking Man tief aus. »Sie haben recht. Er schrie nach seiner Mutter.«  

       38
     
    17. Mai
    Es war Nacht geworden. Flea saß im Arbeitszimmer und starrte auf den Bildschirm. Sie machte keine Anstalten, das Licht einzuschalten oder das Fenster zu schließen. Stunden vergingen, während die elektronische Diskussion sich fortsetzte; immer wieder piepte der Computer, wenn eine neue Message kam. Pearl versuchte zu beschreiben, wie es sich anfühlte, als er den ersten Airstopp an der Sicherungsleine erreichte und dem Rettungstaucher, der kein Unterwasserkommunikationsgerät hatte, panisch die Botschaft hinkritzelte, dass Crabbick tot sei, worauf der Mann den Kopf schüttelte und mit der behandschuhten Hand nach oben deutete. Nein, Crabbick lag nicht auf dem Grund des Sinklochs. Er lebte und hing ein paar Meter über ihnen im Dunkeln an der Sicherungsleine.
    Er hatte die Narkose überwunden. Irgendwie - und keiner wusste genau, welche Alchemie da im Spiel gewesen war - hatte er den Grund erreicht und ein paar Sekunden dort verbracht und war dann wieder aufgestiegen. Ja, es ging ihm schlecht, und als sie ihn zehn Stunden später schließlich oben hatten, mussten die Hilfstaucher ihn aus dem Wasser ziehen. Er war bleich und hatte geplatzte Adern in den Augäpfeln und an den Nasenlöchern, sagte Andy Pearl, und er atmete, als wollte er eine alte Luftmatratze aufblasen, mühsam und langsam, aber er war bei Bewusstsein. Konnte sogar ein paar Sekunden sprechen, bevor die Sanitäter ihn ins Krankenhaus brachten. Und was er da gesagt hatte, war der Grund gewesen, weshalb Fleas Hand sich um die Maus gekrampft hatte. Auf der Trage hatte Crabbick sich zu seinem Tauchkameraden umgedreht, die Hand ausgestreckt und mit erstickter Stimme 
    hervorstoßen: »Die Marleys. Ich hab die Marleys

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