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Ritualmord

Titel: Ritualmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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wenn sie erfahren, dass man ihm seine Hände weggenommen hat. Und als er merkt, dass er etwas für Mum und Dad empfindet, fragt er sich, wie er überhaupt zu einer solchen Drogenschwuchtel werden konnte.
    Die Wunden haben angefangen zu riechen. Vor drei Tagen, als er sich auf dem Sofa umdrehen wollte, spürte er, wie unter dem Verband am linken Stumpf etwas aufging; es hörte sich an wie ein Reißverschluss, und bei dem Geräusch hätte er fast gekotzt. Eine dicke, milchige Flüssigkeit sickerte in den Verbandsstoff. Ein paar Stunden später setzte das Fieber ein, und Mossy verschwand wieder in der anderen Welt, einer Welt der Schmerzen, in der sein Körper nichts weiter war als ein gigantischer Puls. Tagelang hat er sich schwitzend auf dem Sofa hin und her geworfen, und in kurzen Augenblicken der Klarheit starrten die Men in Black auf ihn herab. Manchmal stand auf dem Plakat: Sie schützen den Abschaum vor der Welt, und 
    manchmal auch: Verpiss dich aus dem Universum, Mallows, du Abschaum. Und immer wenn die Welt aufhörte, sich zu drehen, schrie er nach seinen Händen, er rollte sich auf dem Sofa zur Seite und schrie durch das Gitter: Gebt mir meine verschissenen Hände zurück, ihr Fotzen.
    Und jetzt hat er keine Kraft mehr. Sein Körper hat aufgegeben, und er kann nur noch daliegen, müde atmen und dem Knarren des leeren Gebäudes um ihn herum lauschen. Es ist leicht, so zu tun, als wäre nichts von all dem passiert: Er ist nie in dieser Drogenberatung gewesen, er ist Skinny niemals begegnet, und wenn er daran denkt, wie es war, bevor alles schiefging, hat er das Gefühl, sein Herz bricht auseinander. Als er jetzt wieder geradeaus denken kann, kennt er auch die Wahrheit: Es gibt kein Zurück. Er wird hier krepieren. Er lässt die Stimmen in seinen Kopf kommen, lässt sich die letzten matten Sonnenstrahlen in die Augen scheinen, und er weiß, es ist das letzte Mal, dass er den Sonnenschein sehen wird.
    Und draußen hinter dem Gitter, wo die Sonne scheint und die Bäume grün sind, verstummt der Automotor, und eine Tür wird zugeschlagen.
    46
    18. Mai
    Die Luft im Ford war abgestanden, und Flea drehte das Fenster herunter, während sie zu Kaiser fuhr. Es dauerte nicht lange; nach weniger als einer halben Stunde hatte sie die Mendip Hills mit ihren dichten Wäldern und seltsamen Schluchten erreicht, und erinnerte sich wieder, wie einsam die Welt sein konnte. Langsam steuerte sie den Wagen die Zufahrt entlang, 
    parkte auf dem Kiesplatz und stellte den Motor ab. Die Sonne stand fast im Zenit; Wolken zogen darüber hin. Der Boden war ausgetrocknet, das Haus verwahrlost. Eine Katze schlief im Schatten einer Wassertonne; verschlafen blinzelnd hob sie den Kopf, aber sonst rührte sich nichts. Sie schaute hinauf zu den vernagelten Fenstern. An allen anderen waren die Vorhänge zugezogen. Sie dachte daran, wie sie als Kind hier gewesen war, versuchte sich zu erinnern, ob Kaisers Haus immer schon so unheimlich ausgesehen hatte oder ob dieses Gefühl neu war.
    Als sich nach einer Weile immer noch nichts regte, stieg sie aus und warf die Autotür zu. Das Geräusch hallte über das leere Feld, und sie fragte sich, ob Kaiser sie drinnen wohl gehört hatte. Als er sich nicht blicken ließ, nahm sie die Sonnenbrille ab und ging zur vorderen Veranda. Unterwegs streichelte sie die eine oder andere der zahllosen staubigen Katzen, die aus dem Gestrüpp und zwischen den rostigen alten Maschinen hervorkrochen und um ihre Waden strichen. Sie spähte zwischen den Plastikplanen hindurch ins Haus. Nichts rührte sich. Sie ging nach hinten. Die Tür dort war nicht verschlossen, und Kaisers Wagen stand da, ein rostiger alter Käfer. Aber Kaiser selbst war nirgends zu sehen, nicht in den Nebengebäuden und nicht in den Gewächshäusern. Sie ging in die Küche und blieb da stehen.
    Die Plastikplane vor dem Durchgang zur Diele wehte sanft herein, als stünde irgendwo ein Fenster offen. Um ein halb verspeistes Sandwich auf dem Tisch summten ein paar Fliegen herum. Drei halbe Avocados lagen auf einem dicken Holzbrett; aus ihren aufgeschnittenen Kernen quoll eine dicke, blutähnliche Flüssigkeit. Überall herrschte das gewohnte Chaos, das sie aus Kaisers Leben kannte: Stapel von National Geographie auf dem Sideboard, ein Meerschweinchen, das auf dem Boden seines Käfigs auf dem Tisch kauerte und sie anstarrte. Sie nahm seine Wasserflasche herunter, füllte sie frisch und klemmte sie wieder an das Gitter; dann sah sie zu, wie das kleine Tier

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