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Ritualmord

Titel: Ritualmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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seine 
    rosa Schnauze um die Tülle schob und geräuschvoll nuckelte. Sie nahm das Brett und warf die Avocados mit ihren blutenden Herzen in den Mülleimer.
    Im Wohnzimmer stand ein Teller mit einer Papierserviette und ein paar Krümeln, und mitten im Zimmer lagen die Einzelteile eines zerlegten Rasenmähermotors auf einer Zeitung. Flea bewegte die Computermaus auf dem Schreibtisch hin und her, aber der Bildschirm war tot. Sie setzte sich auf das Sofa, auf dem sie den Samstag verbracht hatte, und versuchte sich an die achtzehn Stunden zu erinnern, die sie dort gelegen hatte; sie presste die Hände in das Polster und betrachtete es aufmerksam, als könnte der Anblick des Stoffs eine Rückblende auslösen. Sie überlegte angestrengt, ob sie aufgestanden und an den Computer gegangen war, aber sie konnte nur an die Halluzinationen denken: an die skelettierten Leichen ihrer Eltern im wirbelnden Wasser von Bushman's Hole. Und daran, wie ihre Mutter sagte: Diesmal werden sie uns finden...
    Sie lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. An den Wänden standen die verschlossenen Schränke, in denen Kaiser, wie Mum immer sagte, seine Drogen aufbewahrte. Dahinter befand sich die Tür, in der er gestern gestanden hatte: in einem weißen Hemd und mit einem zerstörten Gesicht. Sie dachte an ein Bild, das sie in seinen Büchern über Hexerei gesehen hatte, in dem aus Dads Arbeitszimmer. Es zeigte einen Schamanen in einem perlenbesetzten Gewand und mit einem Ziegenschädel auf dem Kopf, dessen Augenhöhlen mit Silberfolie ausgekleidet waren. Sie rieb sich die Arme und warf einen Blick über die Schulter; einen Moment lang war ihr kalt, als wehte ein Luftzug vom Fenster hinter ihr herein. Kaisers afrikanische Masken starrten sie an. Sie hatte sie schon so oft gesehen, kein Grund also für beklemmende Gefühle. Aber im Moment war alles unheimlich; sie hatte mit den Toten gesprochen und ge- wusst, wo man ihre Eltern finden würde. 

    Sie stand auf, ging hinaus in den Flur und rief die Treppe hinauf: »Kaiser? Bist du da?«
    Keine Antwort. Sie schaute den Korridor entlang und sah die zerfetzte Tapete, die in Streifen herunterhing, die metallene Trittleiter mit dem umgekippten Speisvogel daneben. Sosehr Kaiser sich auch anstrengte, aus diesem Haus wurde kein Heim. Sie verstand, weshalb Mum und Thom sich hier nicht wohl fühlten.
    Flea überlegte, ob sie in den anderen Zimmern nachsehen sollte, ob Kaiser irgendwo mit einem gebrochenen Bein oder einem Schlaganfall auf dem Boden lag. Als außer dem fernen Klappern eines offenen Fensters im Wind nichts mehr zu hören war, ging sie zurück ins Wohnzimmer.
    Ein rotes Stand-by-Licht leuchtete am Fernseher, und der Videoplayer lief: Grüne Zahlen flimmerten auf dem Display. Sie hatte nie erlebt, dass Kaiser Videos anschaute, ja, nicht mal gewusst, dass er überhaupt fernsah. Sie nahm die Fernbedienung und schaltete müßig den Fernseher ein. Der Bildschirm knisterte widerstrebend und erwachte dann zum Leben.
    Der Ton war abgeschaltet, aber bevor sie auf die Taste drücken konnte, um ihn einzuschalten, erschien ein Bild auf dem Schirm. Es hatte die leicht bräunliche Färbung eines alten Films und zeigte einen Mann auf einem Bett. Als sie sah, was er tat, umklammerte sie die Fernbedienung fester.
    Er war jung, schwarz und sehr dünn. Sein schlichtes Khakihemd war schweißfleckig und sein Gesicht schmerzverzerrt. Sein Oberkörper wölbte sich hoch wie ein Bogen, und er biss die Zähne zusammen. Woher der Schmerz kam, konnte sie nicht erkennen, aber er war nicht gespielt: Der Schweiß strömte ihm übers Gesicht. Er blieb ungefähr fünf Sekunden in dieser Stellung, das Gesicht voller Qual, der Körper verrenkt. Dann veränderte sich etwas. Die Anspannung wich. Er riss die Augen auf, als käme er zu sich. Es folgte eine atemlose Pause, in der er aufgebäumt verharrte, vom Bett weggedreht; 

    sein Blick huschte hin und her, als könnte er nicht glauben, dass der Schmerz aufgehört hatte. Dann sackte er zusammen, krümmte sich wie ein Fötus und umklammerte seine Knie.
    Flea starrte fassungslos auf den Bildschirm; sie wusste nicht, was sie da gesehen hatte. Sie blieb still sitzen, wusste nicht, was sie tun sollte, stand dann auf, nahm die Kassette aus dem Gerät und warf sie auf den kleinen Tisch; dabei riss sie die Hand weg, als hätte sie sich verbrannt. Ihr Herz klopfte wie wild. Folter. Das war es, was sie gesehen hatte. Folter. Was, zum Teufel, machte Kaiser mit Foltervideos in seinem

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