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Ritualmord

Titel: Ritualmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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Haus?
    Sie hörte ein Geräusch hinter sich und fuhr herum. Ihr Mund war trocken. Kaiser stand in der Tür. Er trug das gleiche weiße, fleckige Hemd wie am Tag zuvor und hielt eine Schere mit langen Griffen in der Hand.
    »Kaiser?«, fragte sie langsam und argwöhnisch. »Kaiser, ich kapiere nicht...«
    Er gab keine Antwort, lächelte nur traurig. Es war ein Lächeln, das sagte, er habe immer gehofft, dass dieser Augenblick nie eintreffen werde, dass dies eine der abscheulichen Notwendigkeiten des Lebens sei.
    »Phoebe«, begann er langsam. »Phoebe. Ich glaube, es wird Zeit, dass wir uns unterhalten.«
    47
    18. Mai
    Als er hört, wie die Wagentür zuschlägt, kommt Mossy ein wenig zu sich. Er öffnet die Augen, blinzelt, dreht den Kopf unter Schmerzen hin und her. Er reibt sich mit den Oberarmen die Augen, um besser sehen zu können, und fragt sich, warum 
    er plötzlich so hellwach ist. Ein Auto draußen ist nichts Ungewöhnliches. Aber bei dem hier ist das Geräusch irgendwie anders. Als hätte es einen Zweck, der unmittelbar etwas mit ihm zu tun hat. Vielleicht ist es der Peugeot.
    Er verdreht den Kopf nach hinten, damit er das Gitter sehen kann, erwartet, dass Licht hereinfällt und Skinny kommt. Und da ist auch jemand im Korridor, aber es ist nicht Skinny. Mossys Herz fängt an, heftig zu klopfen, und Angst rieselt kalt durch seine Adern. Er ist sicher, dass er es sehen kann - etwas bewegt sich da draußen im Dunkeln -, etwas Kleines, dicht am Boden. Vielleicht war es nur eine optische Täuschung durch das Licht, aber es kann auch eine Gestalt gewesen sein, die sich schnell bewegt. Eine Gestalt mit Augen.
    »Hey?«, flüstert er. »Wer ist da?«
    Stille. Aber ihm wird kalt, denn er weiß, wer es ist. Der Bruder, der die Flasche mit dem Blut aus dem Kühlschrank genommen und ausgetrunken hat. Er war also die ganze Zeit gar nicht allein. Der Bruder war dauernd da. Sein Herz schlägt jetzt noch schneller. Irgendwie ist er sicher, dass der Geruch seiner Stümpfe den Bruder anlocken wird; er wird kommen und herumschnüffeln.
    »Du Scheißer«, zischt er, und in seinen Kopf geht es übelkeiterregend hin und her. Er möchte gleichzeitig kotzen und weinen. »Wenn du irgendwas versuchst, du Scheißer, dann krieg ich dich.«
    Die dunkle Gestalt scheint ihn zu hören. Einen Moment lang sieht sie mehr denn je wie ein Schatten aus, als könnte sie geradewegs die Wand hinaufhuschen, aber dann kommt plötzlich Spannung hinein, als lauschte sie.
    Mossy bohrt die Ellbogen in die Armlehne des Sofas und stemmt sich in eine halb sitzende Stellung hoch. Sein Kopf wackelt, und er klappert mit den Zähnen. »Du Arschloch«, murmelt er, »ich warte auf dich.«
    Die Gestalt reagiert schnell. Sie krümmt sich zu einer Kugel 
    zusammen. Wieder folgt eine Pause; Mossy atmet kaum und versucht, seinen Körper kampfbereit zu machen. Er hebt den Kopf und fletscht die Zähne, um einen Fetzen aus diesem kleinen Scheißer herauszureißen, wenn er in seine Nähe kommt. Aber nichts passiert. Die Gestalt kommt nicht näher. Stattdessen huscht sie nach ein, zwei Augenblicken lautlos davon, und er starrt mit klopfendem Herzen ins Leere.
    Mossy verharrt lange Zeit in dieser Haltung. Er lässt das Gitter nicht aus den Augen, sein Körper ist angespannt, und er atmet keuchend. Wenn Skinny sich doch nur beeilen wollte! Wenn er das mit dem Auto war, dann kommt er hoffentlich schnell her. Mossy kämpft gegen die Übelkeit, die ihn beim Aufrechtsitzen überkommt, und er wünscht, der kleine Afrikaner wäre hier, und schließlich gibt er auf. Etwas Rosiges, Vertrautes, Dunkles wie die Innenseite von Mündern und Wunden schwimmt in seinen Augen herauf und nimmt ihn mit nach unten.
    48
    18. Mai
    All seinen Instinkten zum Trotz beschloss er, nicht zu Kaiser Nduka zu fahren. Als er so auf dem Parkplatz vor Flea stand, hatte Caffery einen Moment lang das Gefühl, auf einem Zaun zu balancieren, wo ein Lufthauch ihn unvermittelt in die eine oder andere Richtung wehen konnte: Er konnte ihr helfen, oder er konnte seinem gewohnten Muster folgen und seine Arbeit tun. Früher hätte ihn das, was eine Frau sagte, nicht beeinflusst; was also bedeutete es, dass er bei Flea ganz mühelos auf ihre Seite des Zauns kippte? Er hatte ihr feierlich versprochen, 
    sich um einen verschwundenen Junkie zu kümmern, der auf dem Strich so beschäftigt war, dass er ein blödes Treffen mit seiner Mutter vergaß. Aber er hatte es ihr versprochen, und zu dieser Entscheidung - da war er

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