Ritualmord
hatte die Hände in den Hosentaschen, und sein Bauch zeichnete sich straff unter dem weißen Hemd ab. Er blieb am Ende des Weges stehen und ließ seinen Blick über die gepflegten Wiesen und Springbrunnen schweifen. Sie sah ihm an, dass er geistesabwesend war, und fragte sich, was sie eigentlich hier wollte. Glaubte sie wirklich, er würde sie ernst nehmen, wenn sie ihm von Jonah erzählte? Um auf eine solche Phantomjagd zu gehen, musste man entweder verrückt sein oder selbst den Kummer kennen, den man empfand, wenn ein nahestehender Mensch plötzlich verschwunden war. Albern zu glauben, dass er ihr Gehör schenken würde. Und ziemlich wütend über sich selbst dachte sie, dass es vielleicht gar nicht der wahre Grund für ihr Kommen war.
Doch als sie den Wagen starten und losfahren wollte, um mit dem Inspector in der Trinity Road zu sprechen, entdeckte Caffery sie. Er sagte nichts, und sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, aber sie erkannte es daran, dass er sehr still
wurde, die Schultern straffte und das Gesicht in ihre Richtung drehte.
Sie wartete, bis er über den Rasen herangekommen war. Dann nahm sie die Sonnenbrille ab und stieg aus.
»Hi«, sagte er.
Sie lächelte trüb. »Sie waren in der Multimediaabteilung?«
»Hatte ein bisschen Videomaterial zu analysieren, aber wie sich rausstellt, geht das nicht über Nacht. Ich bin ihnen im Weg, wenn ich ihnen dauernd über die Schulter gucke.« Er schwieg kurz. »Was haben Sie heute vor?«, fragte er dann. »Ich fahre raus aufs Land.«
»Aufs Land?«
»Dienstlich«, sagte er. »Weiter nichts. Dachte nur, vielleicht hätten Sie Lust auf einen Ausflug?«
»Nein«, sagte sie. »Ich meine, ich muss zu - ich besuche einen Fr... Ich muss da jemanden besuchen.«
Er musterte sie nachdenklich, als erregte etwas an ihr seine Neugier oder seine Heiterkeit. Sie sah einen winzigen Splitter des Himmels, der sich in seiner Iris spiegelte, und am liebsten hätte sie die Augen geschlossen, denn der Anblick weckte einen Schmerz in ihrer Brust, den sie nicht ausstehen konnte. »Warum sind Sie hier?«, fragte er. »Sie sehen aus, als wollten Sie mir etwas erzählen.«
»Ich brauche Ihre Hilfe. Ich würde Sie nicht fragen, wenn ich woandershin gehen könnte.«
»Okay«, sagte er zurückhaltend.
»Richard Dundas - Sie kennen ihn, er gehört zu meinem Team.«
»Ja. Ich erinnere mich.«
»Sein Junge ist verschwunden. Jonah. Hat seiner Mutter erzählt, er hätte einen Job, der ihm eine Menge Geld einbringt. Ist weggegangen, und sie hat ihn danach nicht mehr gesehen.«
»Einen Job? Was für einen Job?«
Sie seufzte und kratzte sich abwesend am Kopf. »Er ist ein
Stricher. Deshalb komme ich zu Ihnen. Wenn ich einfach nur mit dem diensthabenden Inspector in der Trinity Road rede, wird man die Sache nicht ernst nehmen. Er ist ein Junkie, und er geht auf den Strich. Ziemlich im Arsch.«
»Und es ist nicht das erste Mal, dass er verschwunden ist?«
»Doch. Es ist das erste Mal. Das ist das Problem. Ich kenne Dundas, und wenn er sagt, da stimmt was nicht, dann stimmt da was nicht. Ich bin zu Ihnen gekommen, weil ich dachte...« Ihr Magen zog sich zusammen. »Weil Sie aussehen wie jemand, der da etwas unternehmen würde.«
Caffery starrte ihren Mund an, als betrachtete er die Worte, die da herauskamen. Er schien etwas sagen zu wollen, überlegte es sich dann aber anders. Er schaute zum Himmel empor; vielleicht dachte er über das Wetter nach oder roch irgendetwas in der Luft. Er schwieg so lange, dass sie schon dachte, er habe vergessen, dass sie da war. Als er sie schließlich wieder anschaute, war ihr sofort klar, dass sich alles verändert hatte.
»Was?«, fragte sie. »Was ist?«
»Ich kümmere mich darum. Jetzt sofort.«
Er zog den Autoschlüssel aus der Tasche und schien noch etwas sagen zu wollen, nickte dann aber nur und ging davon. Kurz hob er zum Abschied die Hand, stieg in seinen Wagen und fuhr am Security-Posten vorbei die Straße entlang. Sie blieb in der Sonne stehen und fragte sich, ob es wirklich so einfach gewesen war - ob er ernst gemeint hatte, was er sagte, oder ob er es vergessen würde, sobald er auf der Hauptstraße wäre.
45
18. Mai
Mossy liegt auf dem Rücken, und die Tränen laufen ihm übers Gesicht. Es ist jetzt still, aber zum Glück hat das Zimmer aufgehört, sich zu drehen und zu pochen wie ein riesiges Herz, und dafür ist er dankbar. Er atmet ein paarmal tief durch. Es ist Tag, und auf der anderen Seite des
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