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Ritualmord

Titel: Ritualmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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blieb sie eine Weile am Fenster stehen und sah hinaus. Sie hatte einen trockenen Mund, und ihr Kopf dröhnte, denn sie wusste so sicher, wie sie den Geruch ihres Vaters kannte, dass sie die Pilze jetzt auch nehmen würde.
    Als sie jetzt neben dem Mercedes-Van der Unterwasser-Bergungseinheit am oberen Ende des Schlipps stand, wo das Team unter den zischenden, knatternden Bogenlampen umherging, spürte Flea immer noch das schwache Kreisen des Psilocybins in ihren Adern. Selbst als sie um acht Schluss machten, weil alle erledigt waren und die Abteilung für Gesundheit und Sicherheit ihr die Leviten lesen würde, wenn sie dort erfuhren, dass sie die Männer so lange arbeiten ließ, selbst da fiel es ihr noch schwer, sich vom Hafen abzuwenden, von der magnetischen Anziehungskraft des Wassers und dem gruseligen Gefühl, dass dort etwas Scheußliches herauskommen würde.
    Das Team hatte sich am Van versammelt, rollte die gelben und blauen Nabelschnüre auf und packte die Geräte zusammen. DI Caffery stand ein paar Schritte weit abseits im Schatten und diskutierte mit jemandem am Handy. Sie konnte den größten Teil des Gesprächs mithören: Er sprach mit dem Chefermittler, der schon jetzt sauer auf ihn war, weil er diesen zusätzlichen Tauchereinsatz veranlasst hatte, ohne zu warten, bis der Pathologe bestätigte, dass die Hand abgeschnitten worden war.
    Müde und ein bisschen gereizt wandte sie sich ab. Ihr Team hatte sich verausgabt. Sie hatten das gesamte Welshback abgesucht, unter den Hausbooten und sogar in den Gewölbefundamenten unter den Zollspeichern gegenüber; und sie hatten dabei alles Mögliche gefunden, von Handys, Damenschlüpfern und Tischen und Stühlen von den Bars am Wasser bis zu einer 
    ausgemusterten Pistole. Vier Taucher waren je neunzig Minuten in einem Sechzig-Meter-Abschnitt des Hafens im Einsatz gewesen. Aber, und sie wusste, dass sie die Einzige war, die es bemerkte, für Detective Inspector Caffery war es nicht genug. Sie sah ihm an, dass er von ihr enttäuscht war, sich von ihr im Stich gelassen fühlte, weil sie kein Wunder vollbracht hatte, nachdem es ihre Einheit gewesen war, die ihn zu dieser Phantomjagd veranlasst hatte. Als sie schließlich die Türen des Mercedes geschlossen hatte und das Team abgefahren war, konnte sie es sich nicht mehr verkneifen – sie wollte ihn nicht in dem Glauben lassen, dass sie versagt hatte. Als er zu seinem Wagen ging, holte sie ihn ein.
    »Hören Sie«, begann sie, und ihre Stimme klang kleinlauter als beabsichtigt, »es könnte sein, dass der Rest der Leiche abgetrieben ist.«
    »Ach ja?« Sie musste schnell gehen, um mit ihm Schritt zu halten. »Und das heißt?«
    »Ah, das heißt, es gab hier heute einen Durchstrom – sie hatten die Schleusen offen –, und deshalb könnte es rein theoretisch möglich sein, dass sie nach unten in den oberen Hafen abgetrieben ist.« Sie wusste, dass es Blödsinn war, während sie es sagte. Sie hatte in ihren ganzen sechs Jahren bei der Einheit so etwas noch nie erlebt. Es war physikalisch fast unmöglich. »Es wäre ein großer Sprung, das gebe ich zu, aber wenn Sie wirklich dranbleiben wollen, könnten wir morgen früh wieder hier sein.«
    »Okay«, sagte er ohne nachzudenken. Er schwang sich in einen schrottigen alten Wagen, der nachlässig quer vor dem Eingang des Restaurants parkte, und schob den Schlüssel ins Zündschloss. »Das ist gut«, sagte er durch das offene Fenster. »Dann sehen wir uns morgen, wenn es hell wird.«
    Er ließ den Motor an und führ los. Kein Abschiedsgruß – nur ein kurzer Schlenker auf die leere Straße. Die Lichter verschwanden, und dann stand sie allein auf dem Kai; nur die bei 
    den Uniformierten aus Broadbury patrouillierten in einiger Entfernung vor dem abgeriegelten Bereich. Einen Augenblick lang blieb sie in der Stille stehen, stellte fest, dass ihre Füße nass und ölig von der Pfütze waren, in der sie stand, dass sie fror und sich müde fühlte, aber vor allem war sie stinksauer. Nicht so sehr auf DI Caffery, sondern vielmehr auf sich selbst. Eine Leiche, die über den Grund durch den Hafen treibt? Sonst noch was? Herrgott, wie dämlich.
    Die Halluzinationen am Tag zuvor waren über sie gekommen wie ein Gewittersturm. Zuerst war gar nichts passiert. Nicht einmal ihr Puls hatte sich beschleunigt. Flea hatte die Pilze um halb zwölf gegessen. Eine ganze Stunde war vergangen, und sie wollte eben vom Sofa ihres Vaters aufstehen und in die Küche gehen, um sich einen Toast zu

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