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Ritualmord

Titel: Ritualmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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verlassen, und wie ist es jetzt? Gibt es hier keine Frau?«
    Caffery lächelte. »Nein. Keine Frau.«
    »Was tun Sie dann? Ohne Frau?«
    Caffery stellte den Teller auf den Boden und zog seinen Tabak aus der Jacke. Eine Gewohnheit, die er all die Jahre beibehalten hatte. Er ließ sich Zeit mit dem Drehen. Unwillkürlich war das erste Bild, das bei dem Wort »Frau« in seinem Kopf entstand, Flea am Hafen an diesem Morgen, ihr blondes Haar und die sonnenbraunen Arme unter dem blauen T-Shirt der Tauchereinheit. Als er das Zigarettenpapier anleckte, richtete er den Blick nicht auf den Walking Man, sondern auf die Lichter von Bristol.
    »Prostituierte«, sagte er. »Ich gehe zu Prostituierten. Da drüben. In Bristol.«
    »Zu Prostituierten? Oder zu einer Prostituierten?«
    »Nicht nur zu einer. Ich gehe selten zweimal zu derselben.«
    »Wie oft?«
    »Nicht oft genug.«
    »Wie oft ist >nicht oft genug    Er zündete die Zigarette an, nahm zwei Züge und dachte 
    an die Körper und die Gesichter und die Straßenlaternen. Er dachte an die kalte Leere in seiner Brust und dass er sich offenbar einbildete, Frauen wie Keelie könnten sie ausfüllen. »Einmal die Woche. Warum? Wie halten Sie es mit Frauen?«
    Der Walking Man ließ seine Zähne sehen, als wären es Knochen, und zeigte auch den roten Rand seiner Zunge. »Das ist vorbei. Für mich ist es vorbei, seit es passierte. Gehört zu einem anderen Leben. Man vermisst es nicht, wenn man es als etwas betrachtet, das andere Menschen in einem anderen Leben tun.« Er stand auf, sammelte die Teller ein, wischte sie mit einem Lappen ab und stellte sie neben den Graben. Er verkorkte den Cider und schob den Glaskrug unter die Hecke. Dann zog er eine zusammengerollte, lange Gummimatte heraus und warf sie in den Graben. »Für mich ist Schlafenszeit.«
    »Das Zweite. Sie haben mir noch nicht gesagt, was Sie als Zweites wollen.«
    »Im Frühling gehe ich eine Stunde nach Anbruch der Dunkelheit schlafen«, sagte der Walking Man, als hätte er ihn nicht gehört. »Immer schon – seit sie mich aus Long Lartin entlassen haben. Sie können hierbleiben, wenn Sie möchten, aber Sie wollen sicher nicht hier draußen unter den Sternen schlafen. Zum einen ist es kalt. Und zum andern…« Er schob seine Kleider in den Graben und verteilte sie auf der Matte, um darauf zu schlafen und damit sie am Morgen ein wenig warm waren. Dann nahm er den Schlafsack, der neben dem Feuer ausgebreitet lag, rollte ihn rasch zusammen, um die Wärme zu erhalten, die er aufgenommen hatte, und legte ihn auf die Kleider. »Zum andern werden Sie nicht zusammen mit mir hier draußen im Freien schlafen wollen. Ich meine…« Er schnalzte mit der Zunge hinter den Schneidezähnen, als hätte sich da etwas Unangenehmes festgesetzt. »Ich meine, woher wollen Sie wissen, wie Sie aussehen, wenn Sie aufwachen?« 

    Caffery stand auf. »Es gibt zweierlei, haben Sie gesagt. Das eine haben Sie bekommen. Was ist das andere?«
    Der Walking Man kam ein bisschen näher, und jetzt fiel Caffery eine Unsicherheit bei ihm auf, ein Hinken vielleicht. Oder ein Zögern. »Es gibt noch etwas, das Sie mir geben können, Jack Caffery. Und danach können wir miteinander reden.«
    »Sagen Sie’s mir.«
    »Den Chrysanthus und den Vernus. Das ist mein Preis. Ein paar Chrysanthus und ein paar Vernus.«
    »Chrysanthus? Ist das ein Vogel?«
    »Nein. Kein Vogel. Es ist eine Blume. Ein Krokus. Eine kleine weiße Frühlingsblume.«
    »Woher soll ich um diese Jahreszeit einen Krokus bekommen?«
    »Sie besorgen die Zwiebeln, und ich pflanze sie ein. Aber wenn Sie sie mir bringen, kommen Sie, um zuzuhören. Sie kommen nicht mit einem Vortrag oder weil Sie sich in den Kopf gesetzt haben, mich zu bekehren und ein nützliches Mitglied der Gesellschaft aus mir zu machen. Ich bin der, der ich bin, und Sie sollten nicht versuchen, mich zum Glauben an die Erlösung zu bekehren. Verstanden?«
    »Verstanden. Keine Erlösung.«
    »Gut. Der Vernus ist heute nicht mehr so populär, nicht wie früher. Aus der Mode gekommen und nicht leicht zu finden. Aber…« Er richtete sich auf und legte Caffery die Hand auf die Brust. Er ließ sie dort liegen, und sie hob und senkte sich mit Cafferys Atemzügen. Als wollte er sein Herz untersuchen. »Aber Sie werden sie finden. Sie werden meine Krokusse finden. Das weiß ich.« 

     
    16
     
    14. Mai
    Das Carjacking war im West Country angekommen. Im Jahr 2006 war ein junges Freiberuflerpaar mit einem Scenic-Minivan aus

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