Ritualmord
Haus befunden haben.
Das Buch, von dem Kaiser gesprochen hatte, lag ganz unten – noch eine Dissertation, wie es aussah, mit einem Nadeldrucker gedruckt. Die Illustration auf dem Umschlag war die fotokopierte Strichzeichnung einer Pflanzenwurzel; die Seiten waren mit einer roten Plastikspirale gebunden. Die Verwendung der Tabernantbe-Iboga-Wurzel bei der schamanischen Initiation , stand über dem Namen des Verfassers und dem
Copyrightvermerk der University of California in Berkeley. Flea setzte sich in den Sessel ihres Vaters und blätterte durch die mit Grafiken und Abschnitten zur Methodik bedruckten Seiten.
Als sie fertig war, wusste sie mehr. Ibogain wurde aus Wurzelrinde hergestellt und von Anhängern des Bwiti-Kults in Kamerun und Gabun benutzt; sie glaubten, damit Zugang zu ihren Vorfahren zu bekommen, verwandten es, wie sie sagten, »um den Kopf aufzuschneiden und das Licht hereinzulassen«. Das Buch war mit Schwarzweißfotos in schlechter Qualität illustriert. Sie zeigten die Angehörigen eines afrikanischen Stammes, mit Baströcken oder Raubkatzenfellen bekleidet, und auf einem hielt ein Stammesältester eine Fackel aus Baumrinde. Ein Kapitel handelte von Todesfällen durch Ibogain. Der Autor erklärte, er habe keine Möglichkeit, die Zahl derer herauszufinden, die durch den Verzehr gestorben seien: Es werde manchmal verwendet, um die Entzugssymptome nach chronischem Heroinmissbrauch zu behandeln, und daher sei die physische Gesundheit eines Beteiligten zu Beginn der Einnahme kaum dokumentiert. Anekdotische Hinweise ließen darauf schließen, dass vielleicht einer von hundert Teilnehmern infolge des Genusses gestorben sei; das Herz und die Leber seien die am häufigsten betroffenen Organe.
Flea klemmte sich das Buch unter den Arm und wollte gerade das Licht ausschalten und damit ins Schlafzimmer gehen, als ihr Blick auf etwas fiel, das auf dem Boden lag. Im Durcheinander der Bücher zu ihren Füßen waren einige aufgeklappt. Ein Foto ließ sie innehalten, ein Foto von einem Händepaar, verschrumpelt und schwarz verfärbt. Sie drehte das Buch um und las den Titel. Ihre Nackenhaare sträubten sich.
Sie legte die Dissertation beiseite, hockte sich auf den Boden und blätterte leicht benommen die Seiten um. Sie betrachtete die Fotos und las langsam. Die Großvateruhr in der Diele
tickte geduldig, aber sie hatte kein Gefühl für das Verstreichen der Zeit; die Worte aus dem Buch krochen langsam und tückisch in ihren Kopf und ließen alles andere erstarren.
Als sie fertig war, hob sie den Blick zu dem von gespenstischen Ranken umgebenen Fenster und schaute hinaus in den mondbeschienenen Garten. Das Fenster stand offen, aber ihr war heiß. Kerzengerade und hellwach saß sie auf dem Boden und zupfte am Halsausschnitt ihres T-Shirts, ohne es zu merken. Kaiser und Ibogain und Tig hatte sie mit einem Mal vergessen und auch den Pakt mit sich selbst – ihren Vorsatz, sich nie wieder darauf einzulassen, Theorien über einen Fall zu entwickeln. Plötzlich konnte sie an nichts anderes mehr denken als an Hände, die unter einem Restaurant vergraben waren. Und vor allem daran, dass der Eigentümer des Restaurants ein Afrikaner war.
17
8. Mai
Noch nie in seinem Leben hat er so gekämpft. Er hat gekämpft und gekämpft und sich halb umgebracht, und er kann immer noch nicht raus. So oft er sich auch gegen die verschlossenen Gittertüren wirft und wie ein angeschossenes Tier gegen die Wände rennt, so laut er auch brüllt und an dem Gitter vor dem Fenster rüttelt, am Ende ist er nicht stark genug, und er gibt auf. Er wirft sich auf das Sofa, vergräbt das Gesicht in den Händen und fängt an zu schluchzen. »Bitte«, weint er, »ich hab’s mir anders überlegt. Ich will das Scheißgeld nicht.«
Skinny sitzt an der Wand und sieht all dem zu. Er hat die Knie angezogen, und seine Augen sind weit aufgerissen. Er
sieht verängstigt aus. Er sieht genauso verzweifelt aus, wie Mossy sich fühlt.
»Bitte, ich meine, Scheiße, ich mein’s wirklich verdammt ernst, bitte lasst mich raus aus diesem Laden. Ich schwöre, ich erzähle niemandem was – ich schwöre.« Er bricht ab. Die Tränen laufen ihm über das Gesicht, er hält die Hände vors Gesicht und schämt sich, weil er solche Angst hat. Seine Hände. Seine verschissenen Hände. Seine Hände wollen sie ihm abnehmen, Scheiße, und das ist doch wirklich unglaublich, diese ganze Bude hier mit den Gittern und Schlössern. Dieser Wahnsinn. Er weint noch eine
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